Dienstag, 24. März 2020

aus 2009 Poetry-Slam

Ein Poetry-Slam wird aufgebaut. Worte in gereimten Klumpen fallen aus Menschen, die Du für Nachbarn gehalten hättest. In der VIP-Lounge applaudieren zahnlose Zuhälter an der Seite bissfester Prominenz. 

Wir gehen als die von Bratwurst aufgedunsene Begleitung des menschlichen Faktors Platz begehrt.

18.04.09 Klaus Wachowski

Montag, 23. März 2020

aus 2009 Linie 4

Linie vier 

in den Fenstern der entgegenkommenden Straßenbahn die gleichen Passagiere wie vor vierzig Jahren. Der gleiche Regen lässt meine Wurzeln faulen. Ich sehe die Armut in den Kinderwägen, und im mürrisch hinein blickenden Gesicht verbitterte  Sehnsucht. 

Die jungen Männer lachen und stupsen und schnauben. Kichern und Kickeln bei den jungen Mädchen. Eine nicht viel ältere Frau im Kopftuch tauscht mit ihrem strengen Begleiter von der Bartstoppel Zungenküsse. Der Fundamentalismus ist auch nicht mehr das, was er einmal war. 

Alte Männer, Begleiter von Einrichtungs- und Einkaufsprojekten ruhen aus in von Möbeln entleerten Gedankenräumen, Frauen rasten auf der Flucht vor dem Schweigen der Wünsche. Es geht durch die esoterischen Labyrinthe der Kaufhäuser, man zieht sich an den Felsen von Designer-Shops aus dem Meer der Anonymität. 

Die Tram fährt weiter in die Schnäppchenmeile 70%. Hier treffen sich Kichern und Spähen, Lust und Scham, die aus dem Elend der Provinz in die Schluchten der Stadt flohen. Hier im Feuchten schwillt der Schimmel der Kultur. Hier blüht irgendwo die Blume Deiner Erlösung. Die Kirche der Heiligen von der Fleischeslust öffnet ihre rot leuchtenden Tempel, die Priester von der Goldkette und die Priesterinnen vom Arschgeweih erleichtern Deine nach Berührung brüllende Sehnsucht. 

Im städtischen Dampfbad schrubben zwei gefaltete Heilpraktikerinnen einander die Lust aus der Haut, als sei sie vom Satan entzündet. Der schleicht einsam durch die duftenden Aufgüsse des Saunameisters. In der Ruhezone versenken sich schließlich alle in die Phantasien von Roman- und Skandalfabrikanten. Sie fliegen, stürzen und landen schließlich doch weich in der Liebe, sie kämpfen tapfer und siegen gegen das Unrecht in der Welt. Sie ermutigen sich zu Liebe und sie ermuntern sich zu Hoffnung. 

Endstation Hauptbahnhof: Linie 4 kehrt um. Bist Du bereit für nach Haus? Für die Berührung im Whirlpool Familie? 

Fliegen wie schön, vom Nest aus! 

Und was gibt’s im Fernsehn? Man darf zusehen wie Fledermäuse in der größten Höhle der Welt fliegen. Kot von millionen Exemplaren, der von millionen Schaben wimmelt. Man sieht wie eine Fledermaus in Kot und Schaben versinkt, zuckt, zersetzt wird. 

Das Kino gibt den Vorleser von Schlink. Sex and Crime macht die Deutschen ganz hektisch, wenn sich heraus stellt, dass die erfahrene Liebesmutter Killerin bei der SS war. Romantisches Geschichtenbasteln. Ein billiger Plot macht Kasse. Wer fühlt bekommt in all der Begeisterung an Sex und Nazicrime ein Gefühl wie eine in Kot und Schaben verzweifelt gegen das Versinken kämpfende Fledermaus in den Batu-Caves. 

Ist es das, was wir im Ruheraum des Wellnessparadieses über unsere heißen Steine von der Hoffnung gießen?  

Klaus Wachowski  07.02.09