Sonntag, 17. Oktober 2021

Absage einer Einladung

Sehr geehrte

Nov 93

Mit Massendrucksache  vom
haben Sie mich einladen lassen an der Feier vom teilzunehmen.
Ich tue es nicht aus folgenden Gründen:
Meine Geschwister von Krawatte und Abendkleid haben sich nicht dazu überwinden können, mir den Preis zuzusprechen, der mir schon deshalb zusteht, weil ich dieses Jahr 1000.- DM für Schulbücher meiner Kinder ausgeben mußte. - Wenn ich das Geld gekriegt hätte, hätte ich mich schon einer Feier ausgesetzt, in der es erfahrungsgemäß von Ansprachen knackt.

Den Professor ... hätte ich ausgehalten, auch wenn er vielleicht mit dabei war, als der mir zustehende Büchner-Preis verweigert wurde.

Damned:
"Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung".
"Akademie der Wissenschaften und der Literatur. "

Da bin ich doch wieder zu Mami und Papi gelaufen!
Ich denk, ich spiel Euch den Reggae- und lande voll in einer Tanzschule, deren Walzerträume auf Mozart stehn!

Ärgere mich über mich selbst. Was ich zu sagen und zu singen habe, gehört doch nicht aufs Tablett, sondern zwischen Cola-Büchse und verstreute Chips auf den Rücksitz!-

...schicken Sie mir bitte rasch mein Manuskript zurück, daß ich meinen peinlichen Ausrutscher vergessen kann: Daß ich das Geld abkassieren wollte, ist voll okay. Aber, daß ich doch im stillen noch nach Frack und Kostüm geschielt habe; verdammt, das ärgert mich.

Im übrigen ist es schon okay: die Jury hat sich sicher ehrlich bemüht und die Preisträger werden schon fleißig gewesen sein (keine Frau dabei?!). Und daß Sie Ihre Unterschrift nicht selbst unter die Einladung meine Adresse nicht auf die Einladung setzen konnten. Ich sehs schon ein.
Keine Zeit nehme ich an. Aber warum soll ich dann kommen? Was für einen Spaß könnte ich dabei haben?
Ihr eigenhändig unterschreibender...

Glaserpreis 1993 nicht abgeräumt

VORBEMERKUNG

Also ich würde dem sprudelnden Brausekopf den Glaserpreis auch heute noch gönnen. Einem seriösen Beamten mit ins Chaos der Midlifecrisis eingetauchtem Hirn.

 

Die Kolleg*innen in der Jury aber hätten weiterhin ironisch die Lippen geschürzt oder laut aufgelacht. Eins hatten sie mit Glaser nicht gemein: sie waren nicht von Vätern geschlagen worden. Oder waren auch sie der aufkommenden Meinung, eine Ohrfeige ab und an könne nicht schaden?

 

Ich sprach von Brüdern und Schwestern, wo BeamtInnen des Ruhms das Wort verwalteten als Archivare des Ehrgeizes. Lockruf und Erlauchende kennen einander vom langen Marsch auf den Trog.

 

Im Rückblick ist es zum Lachen. Dieses freudige Pathos eines Obdachlosen, dem einer einen Fuffi zugeworfen hat.

 

Aber gerade es und gerade für solche Haltung, diesen Stil hätte es den Preis des Georg Glaser verdient. Wurde denn  d e r gelesen? Wirklich gelesen, Ihr achtsamen Totschweiger der geprügelten Generation?

 

Heute weiß ich von wichtigeren Wichtigkeiten als jenen und dass es nicht darauf ankommt, wer von uns VIP, Wicht und/oder Wichtel war. Ich lasse den jungen Mann seine Sache vortragen.

Manche/r mit Vernunft und Interesse wird hinter Wort und Rhythmus noch etwas entdecken, das anders berührt als Schlag und Vorschlag.

 

16.10.21 Klaus Wachowski 


Meine Einsendung zum Glaserpreis 1993 – nicht gewürdigt

Das Thema war, wenn ich mich recht erinnere: der Fremde in der Mitte, oder so.

"Fremder sitzt am Bach, Schnee auf der dunklen Erde,
und auf glitzerkaltem Wasser rinnt Ewigkeit hinaus in den Frühling.

Ach‚ arme Kindheit! Jetzt brichst du auf aus den Kellern des Schweigens, ziehst blutend dich zu einer Hoffnung hin: Fee Liebe streichelt zart und holt mich aus der Kälte.

Gib jetzt mir die Schmerzen‚ jetzt kann ich sie nehmen. Noch lebt ein Funke ich im Bunker Eltemstolz. Wo ich mich strecken mußte, mich zu bücken, hältst du mich warm. hilfst du mir sein.

Zu traurig ringelt sich dein Schlips ins Manuskript, du Bruder von der Ehre: komm runter, rein zu mir, laß uns probieren, rauszukommen. Toll ist die Welt und super, zärtlich, alles. . .

Auch du, gebeugte Schwester von der Leere‚ die du polierst das Schöne‚ Wahre, eintauchst ins Grandiose, weil dich Umarmung ekelt; probieren wir‘s?..

Seht mit hinein in die verdorrte Kindheit:

Spürst du die Schläge ins Gesicht, mein Bruder, gnadenlos?
Oder mußt du noch etwas sagen wie "Faschist"?
Hörst du die Worte peitschen,  Schwester, giftige Klagen?
Oder erklärst du noch "Patriarchat"?

Laßt es uns sehen, trauern und ... verdammt, sag: "weinen":
Wir hatten nicht die Freude Mutters, Vaters zärtlich auf der Haut, im Haar. Ja: es gab Lachen, Rindenrisse. Gab es auch Lächeln, einfach so? Was ist es, das da schimmert, warm und froh: es waren Schmerz und Angst und tief geduckter Wille.

Was weißt du schon von dir? Ich glaubs dir nicht!

Vater war gräßlich.—
Nur er?
Mach auf die Augen:
Du warst allein. Und ich auch war nicht eines Menschen Freund.
Auch sie waren allein. Aber sie wollen nicht die Trauer, stießen uns hinein.

Trauer, ich rufe dich!

Nicht aus dem Fenster in die Nacht, es ist zu hübsch dramatisch. Erhabne Briefe schreiben vor dem Sturz? TV-Abgang mit Abdruck in Beton? Nein! Eben das ist es, was sie gerade wollten! Ich will den Spaß, Anfassen, miteinander spielen, lachen und quasseln Hand in deiner Hand‚ das Wunder, Leben zu erleben. Und meine Trauer will ich weinen spüren.

Erhaben! -

Kaum sehn wir eine schwarze Haut, schon brauchen wir den Kommentar über das Fremde in der Mitte. Ist‘s nicht die Mitte‚ die sie zur Leere schlugen, kaputte Typen‚ die auf Menschen schlugen und in dem gleichen Haß in ihre Kinder? Fremd den Menschen, menschenfeind. . .

Wie Menschen ihr zu Feinden machtet und uns zu Menschenfeinden, Vater! Mutter und auch du!
0b weiß, ob schwarz, ob rot, ob gelb, was warst du mir?  Ein fremdes. Ich mußte schaffen, schuften über dich hinaus.
Was war ich dir?  Ein fremdes, über das Du mußtest, das schwarze Loch in Eltern, Voreltern anzufüllen mit dem Applaus der nachgebornen Knechte, Mägde.

Komm raus mir mir! Schließe die Augen, wie sanft dich in den eignen Armen: Wir wollen anders es probieren als mir der Einsamkeiten Panzerglas. Es geht...

Da knüpft ein Mädchen sein Sterben ein in Teppiche: Family will glänzen. Ein Knabe würgt ein Menuett, daß Mamas Krisen lohnen. So hängen wir an Spinnenfäden und jedes Zucken fesselt mehr an family. Mit vierzig leert das Gift sich in den müden Rest und schon bist du verschwunden.

Raus aus der Elite, blau machen mit Woffel. Witzig und hassend die autoritären Schurken. Erbittert, Regen, Dreck und Sonne, die Pauker flau im Bauch und dann die Gründungsworte einer Freundschaft:"du Nazi!", "du Faschist!" Cola, Gulaschsuppe‚ purple haze, music‚ friends and freedom.—


Begegnung: Säufer, Brüder, Revolutionäre. Hexen, Schwestern, Heldinnen der Freiheit. Erwartung riesig, drunter ging es nicht. Riesenenttäuschung, ganz wie es Familie brauchte. Jetzt diskutierten wir‚ was ihr zu leben hattet, den roten Western zu beleben. Es war Familienerbe, links gewendet; die Weltenpläne, euch zu fangen, uns zu fesseln.

So reparierten wir die Zellen exklusiver Wahrheit, staffierten sie mit der Bibliothek der Freiheit aus, zahlten den Tag ab mit der Besoldung von Beamten.

Hey Joe‚ gehört und schon verraten an mein verlorenes Amerika: Träume ans Ende grandioser Ewigkeit: heldisch‚ heldisch, Heldin an der Seite. Das Haar im Wind, vor uns der Fluß und Berg des Dramas Leben. Freundschaft träumte gegen Welt. In Reinheit. Kein Straps störte den Traum auf roten Wappenteller. Hier glänzte Pflichterfüllung revolutionär. Und family wollte uns das nicht nehmen.

 War doch auch er gut für die Wand über dem Stammbaum: verlorener Sohn als Django ist okay. Fragt nicht‚ warum wir trauern nicht und nicht bereuen wollen. Der schweigt und geht. Ist in nem andren Film, macht keine Szenen unterm Christbaum. Kommet ihr Kinderlein zum Deutschlandlied vom Tod. Und macht uns gute Stimmung. 

Der letzte Schlag war der des Herzens. Ich lernte zu umarmen, hören, reden; dich fühlen ohne Kommentar. Fee am Wasser: Frau bist du geworden und auch Tao; Fläche wird Körper, Fleisch und Atem. Liebe, Ärger, Streit: Juchhuh, ich bin geboren!

Und jetzt die Boxen an, voll auf den Ernst des Lebens! Weg mit dem Bettel,  sing mit mir den Reggae! Die drei dort an der Ecke, die planen einen Bruch. Schrotflinte her und auch die Freude,  zu sehen, wie da die Lust am Leben Arme schlenkert, wackelt mit dem Arsch. Hey Boys, ihr müßt dazu, wenn Sonne kommt zum Tag!


Der Mond, ein Traum der Menschheit? Mir nicht und auch nicht dir. Aber der Hansl Pfefferle, der kann Geheimschrift an der Wand und Janosch kennt den Josa mit der Fiedel. Es gibt noch Zauberer im Vaterland, weit weg von Söhnen, die zu Vätern, Töchtern. die zu Müttern geschlagen werden und gekrümmt.

Nicht Blümchen auf des Spießers Rasen: verschmiertes Kind aus dem Geburtskanal; ein Wunder war ich, warst auch du und du. Und du fragst noch, was du hier sollst in dieser schönen‚ supergeilen Welt?...

Laß Dir was einfallen! Such deinen Kuß und hör nicht auf den Quatsch von Geistern. Nietzsche gib nicht an: vor den dessous der Liebe und des Lebens rutschen deine Phrasen. Karl Kraus, mal raus: dein reines Streben geht mir an das Leben.  Goethe rück n Stück: ich brauch jetzt einen Blues: unrein, unrein, aber atmend.

Mozart, bleib mir aus dem Kinderzimmer!  Dir war die Kunst doch Krücke für den Gang zu Fürst und Vater, und Biegestock fürs böse Kind. Vorsicht! Romantik springt dich aus der Hecke an, wenn Leben mal vor Regen Deckung sucht. Genie und Bratkartoffel, laß sie draußen! In deiner Mitte ist was fremd, fragil, heißt "Fühlen". Nicht "einen Baum umarmen", groß; ein Blatt nur einfach fühlen.

This is a man‘s world: Küssen verboten, Tränen; kurz: beschissen. No chance: skurril müssen wir werden oder sein wie die: groß, groß und leer und fremd in unsrer Mitte.

Fremd in der Mitte sind wir mit allen schwarzen, roten, gelben Schwestern, Brüdern. Ach, macht aus euren Kindern nicht den Stolz von den Krawatten. Seid andre Vater -, Mutterhände. Laßt euch nicht Größe geben, nehmt die Chance.

Was für ein Dschungel. Argh!- Es stinkt bestialisch. Ist er schon hinter mir, der Garten, der bestialisch duftet? Ah-la-la-la-la-long?

*

Das war die Kokosnuß: Tarzan und Jane: jetzt holt mir auch den Preis! Aus eurer Mitte rief dies Klaus."