Montag, 23. Januar 2017

Eine afrikanische Statue



"Mit Herzblut schrieb er sein Gedicht.
Man druckt es nicht, man liest es nicht. 

Dieser Vers Wedekinds über den armen Dichter steigt in mir auf, als ich in einem Supermarkt-Betrieb einen afrikanischen Gott hängen sehe. Aus Herzblut geschnitzt, mit freudigem Glauben an die Wirkung verkauft, hängt das Bildnis im schmatzenden Wohlbehagen der Krokettenfresser."
ca 1983
Krokettenfresser bin ich nun selber. Die starke Entwertung in dem Wortteil -"fresser" ist mir heute zuwider. Ich glaube, daß ich damals gerne Feindbilder von moralischen Größen übernommen habe. Pasolini war links, kritisch und autonom. Selbständiges Denken, das begeisterte.

Oder war da nicht auch  noch ein Rest von dem: der Schimpanse der vor dem auf die Blechbüchse schlagenden Schimpansen in die Knie sinkt? Pasolini schlug keine Blechbüchse, er hatte die Kombination von Vernunft, Verstand und Sensibilität, die heute sehr selten bis ins Feuilleton vordringt. Aber was war mit gewissen Teilen meiner Begeisterung?

Da war auch ein Bedürfnis, sich gegen die Rundum- Übereinstimmung zu wehren, ich zu bleiben und doch Teil zu sein einer (zu den Menschen) guten und gerechten Welt, in der auch der Fernste Freund ist.

Kluge Einsicht, daß die Welt nicht so ist. –

Aber: Ist sie denn so, wie der Spießer es an die Wand seines Büros hängt? Gewiß nicht!  Sie enthält wohl beides als Möglichkeit.

Der afrikanische Gott findet doch vielleicht einen ihn betrachtenden sehnsüchtigen Kopf, die Krokette ihren Fernsehkoch...

Auch heute versuche ich, im Werk selbst den Mann, die Frau zu sehen. Ihre Sehnsucht zu erkennen. Es gelingt nicht immer, ist aber eine hilfreiche Übung gegen Depression. Danach schmecken die Kroketten besser, Klaus...

23.2.17

Mittwoch, 4. Januar 2017

Dienstreise 18.9.91

Ich begleite einen freiwilligen Rückkehr zum Flughafen. Heute nachmittag treffen dafür 20 Flüchtlinge der Woche ein, für die verzweifelt in den letzten Ecken nach Raum gesucht wird.

Im Bahnhof Mainz ein japanisches Paar lacht frei in der leichten Atmosphäre - fern der Heimat, fern der Sorgen. Dieser hier war anders fremd. Im mühsam verhaltenen Haß auf ein Land ‚ das ihm jede Bewegung sauer machte, jede Regung mit Zeigefinger oder Keifen kommentierte, wartet er. Er pfeift auf die "Anerkennung". 

Unter den Schuhen und Turnschuhen, zwischen Krümeln von Pizza und Pausenbrot sucht eine graue Taube ihr Futter. Es stellt sich nicht die Assoziation von Frieden und Reinheit ein,  sondern die von einem geilen Alten, dem des Weibchen verloren ging. Jetzt frißt er halt. 

Ich habe die Pasolini-Nummer von Wagenbach dabei. Leider nur nett.- Aber die Lobredner des  Kritikers müssen  nun nicht selbst über  seine sozusagen explosive Urteilskraft verfügen..

Im Flughafen bin ich sogleich dem Angriff -euphemistisch  Angebot- des Konsumbreis ausgesetzt (Aha!-Pasolini!). Noch ist der Kopt voll von ausgewalzten Essays. So kann ich mich leicht entziehen, indem ich mich mit einer- Zeitung für DM 2‚50 freikaufe. Zugegeben: bei 20 DM in der Tasche liegt es nahe, den Ekel vor dem Konsum mit Neid — oder Unkenntnis zu verknüpfen. Daher bleibt mir nichts als die Versicherung‚ daß mir Kaviar nicht zu sauer, sondern zu glibberig ist, Champagner nicht besser schmeckt als "Germania Pilsner" vom billigen und dass ich zu all dem raffinierten und deftigen, zum edlen wie zum hausgemachten nur verführbar bin, so lange sich in meinem Kopf nichts bewegt und daß mir eben diese Bewegung mehr wert ist als jede "Leistung". 

Von der Welt kosten oder aus ihr heraus mich selbst‚ aus ihr heraus sie betrachten: das erste bringt mich endlich zum Kotzen das andere manchmal in die Einsamkeit und selten zur Begegnung mit ebenso zwischen Enttäuschung und dem Glück von Kommunikation schwankenden Mitbewohnern dieser Aschehügel von Kinderparadiesen, dieser Blutmeere vor Hawaii. Das letztere hält mich; das andere lobt mich‚ bin nicht ich, spuckt mich aus. 

Die Zeitung ist die Moskau—News vom September 91. Ein Glückstreffer! Was sich in der früheren UDSSR Jetzt an Freiheit aber auch an ursprünglicher Selbständigkeit der Köpfe bewegt, davon machen wir alten in der Konfrontation geprägten Westler uns völlig abstruse altbackene Vorstellungen. Wir glauben auf dem Höhepunkt der Freiheit und der Wirtschaftskraft zu stehen. Der Osten wird uns nicht "barfuß  überholen" sondern sicher von Amerikanischen und selbstgezeugten Multis geschluckt. 

Aber dort ist eine Kultur geboren, für  die sich nachgeborene Menschengenerationen nicht nur historisch sondern brennend interessieren werden‚ während hier die prästabilierte Harmonie der Umfragemassen zur Agonie der Persönlichkeit geführt hat. Von den Regionen der neuen Freiheit aus wird unser "Modell" beurteilt werden‚ erkannt als Reklameschild für den Menschen in Dosen. Sie haben jetzt das Wissen, was Selbstbestimmung wirklich ist‚ das wir längst ad acta der Verfassung gelegt haben. 

Die durchrationalisierte Projektion von Machtorganisation aus der Arbeitswelt auf das gesamte Leben‚ soweit es nicht würgender Konsumismus ist; jede Zumutung gegen die Person als Notwendigkeit begründet; keine Lebensregung ohne Abstimmung mit Umfragenormen - das ist es‚ was sie gerade nicht haben wollen. Wir waren keine Einheitsdosen im real existierenden Sozialismus. Was hier an brauchbaren Menschentypen sich freiwillig formen ließ war nicht uniform sondern frei kompatibel.- 

Wir alt gewordenen Trittbrettfahrer der 68’er können über unsere geistigen Orientierungen und Interessen nicht mehr ungebunden bestimmen. Zu sehr sind wir durch die früheren Kämpfe konzentriert auf die Schäbigkeiten des Westens. So ist die Kommunikation mit den Intellektuellen der neugeborenen Republiken die Chance für eine andere Jugend‚ die nach Autonomie im Erfahren, Erkennen, Urteilen sucht.

Elend und Glücksrittertum in den armen Nationen machen sich noch auf den Weg in die Konsumentenparadiese. Die Sehnsucht nach Freiheit aber hat in den gleichen Regionen eine andere Hoffnung gefunden. In einem Beispiel von Selbstbestimmung durch Selbstvertrauen.-