Sonntag, 23. Oktober 2016

August 1982 und Ernst Jünger statt Goethe



Geschrieben 8/82

"Wenn vom Haß besoffene alte Leute an die Macht kommen, hat die Moral nichts mehr zu melden..." Es ging um Reagan und Cohumeini.
2016 an den Rand der Betrachtung geschrieben: "Es gibt solche Erfahrungen. Aber insgesamt trifft etwas mehr Versöhnung die Sache eher."
Eine harte Anmerkung, der FR als Annonce eingeschickt, wurde nicht angenommen.
2016 sage ich mir: Der Mann, die Frau hatte Recht.
Das Gedicht Karl Kraus "Weg damit" als bemerkenswertes Gedicht aufgenommen.
Unverändert gültig 1982 und 2016. Verschulden einer paktierenden Elite.
Anmerkung zur Diskussion des Namens Corpus Christi für ein Atom-U-Boot.
2016 dazu: In ihrem Pathos zu aufgeblasen, dadurch ein fanatischer Zungenschlag gegen den Menschen überhaupt.
Das gleiche zum Thema "Hiroshima-Bäume (im Palmengarten) sind verdorrt".
Unkommentiert bleiben auch 2016 die Meldungen der FR zu
- israelische Soldaten spielen mit dem Hammer des (jordanischen) Parlamentspräsidenten herum und
- Ansicht von Dan Yardi zu Bombardierungen von Krankenhäusern in Westbeirut.
*
Ernst Jünger erhielt den Goethe-Preis.
Was aber nicht angehe, "das ist der Versuch, Ernst Jünger das schlimmste Kainszeichen, das es seit 1933 geben kann, aufzudrücken. " (OBB Wallmann zur Verleihung des Goethe-Preises).
Ernst Jünger: "Wir brauchen für die kommenden Zeiten ein eisernes, rücksichtsloses Geschlecht. Wir werden wieder die Feder durch das Schwert, die Tinte durch das Blut, das Wort durch die Tat, die Empfindsamkeit durch das Opfer ersetzen - wir müssen es, sonst treten uns andere in den Dreck." - " Im gleichen Maße jedoch, in dem der deutsche Wille an Schärfe und Gestalt gewinnt, wird für den Juden auch der leiseste Wahn, in Deutschland Deutscher sein zu können, unvollziehbar werden, und er wird sich vor seiner letzten Alternative sehen, die lautet: in Deutschland entweder Jude zu sein oder nicht zu sein." - "Hätten die Engländer nicht zwei unnötige Kriege mit und geführt, so könnten sie noch groß da stehen. "
Im Spiegel:
"Ich bin ja nie mit Staatsformen zurechtgekommen, sondern schon als Unterprimaner in die Fremdenlegion ausgerissen, weil mir die bürgerlichen Zustände nicht zusagten, und das ist eben mein Elend bis heute... Was darf man denn heute? Die Sachen,  die man darf, sind doch, sagen wir mal dem Barock gegenüber,  gewaltig reduziert.
Zum Beispiel dürfen Sie heute nicht sagen: "Ich bin ein Faschist." Dann sind Sie schon gleich der Unterste. Oder: Sie dürfen nicht auf der linken Seite fahren mit Ihrem Automobil. Das greift tief in das Individuum ein. Noch meine Väter, meine Großväter haben viel freier gelebt als heute..."
Dazu 2016: Das Problem des Freien, der sich nicht zur Versklavung der Massen bekennen darf. Ein altes Problem von Nietzsche zu den neueren Überwindern, die alle mit dem Ruf nach Freiheit beginnen und zum Ende Züchtungsprojekte am Menschen vorschlagen. Altbekannt auch, dass jede Ideologie für ihr eigenes Unterdrückungsprojekt besondere Freiheit einfordert.
Der Kosmopolit Goethe hätte sich im Grab umgedreht.
Klaus Wachowski


Mittwoch, 5. Oktober 2016

Reue 1989



Über Reue - 1989
Über Tschäpe 2016
Nicht Ihr seid, sondern sie waren Täter, Bejubler und Profiteure von Tätern. Wo sie nicht bereuen ist Entschuldigung Ausrede, Bekräftigung des Verbrechens. Außerdem aber der Versuch, die nicht schuldigen auf ihre Seite zu ziehen, schuldig zu machen der Verzeihung anstelle der Opfer. Niemand als sie hat das Recht der Begnadigung. Wer es ihnen zu nehmen versucht, bestätigt den Triumph der Tat über das Gewissen, jene letzte Barriere gegen die Unmenschlichkeit.
Wir sind nicht so, wie sie uns unterschieben wollen. Und ob wir je so handeln werden und gar so ohne jede Reue, das muß sich erst zeigen! Dazu werden wir unsere Taten an ihren prüfen. Sonst wären wir wie sie uns haben wollen: wie sie.
„Ärzte im Dritten Reich“ von Robert Lifton: Dort gab es alle Sorten Charaktere, aber auch den alles entscheidenden Unterschied der Tat, welcher der Täter sich entziehen kann, sei er danach auch Opfer. Nur wer nicht sehen will, kann sich seiner selbst sicher sein – die Täter sind es bis heute. Ob wir selbst Täter sein können, wissen wir nicht. Wohl aber, daß wir es nicht sein wollen. Anders als jene, welche Täter sein wollten, was ihr Mangel an Reue beglaubigt.
Ich habe mit manchem zu tun, durch den ein höherer Wille durchrutscht wie in einen SS-Automaten. Auch der „nur“ Ausführende ist Täter.
Das Leben bleibt eine mißliche Sache (Schopenhauer), die durch Nachdenken nicht zu ändern, nur zu begreifen ist. Und so finden die Menschen und die, die es bleiben wollen, keine Ruhe, auch nicht über sich selbst. Was bleibt, als dies anzunehmen?
Zum Jahreswechsel Jan 89
*
Heute, mehr als 20 Jahre später unterstreiche ich die Grundaussage.
Wir hatten Glück und kamen nicht an die Macht und Verlegenheit, unsere Selbstgewißheiten prüfen lassen zu müssen. Abwiegelung Pol Pot, klammheimliches Lächeln sind nicht Zeichen moralischer Festigkeit. Was wir beweisen können, ist Reue über solches Tun, Unterlassen, Urteilen oder Loben.
Aber wir wurden mit Glück und eigenem Zutun  nicht Täter. Die andere Seite von 68 – all You need is love- half.
Seither bin ich von meinem Täterbegriff abgekommen. Die Vorstellung, Täter zu sein, geht traditionell mit der zusammen, „durch und durch“ Täter zu sein. Ein Ich kann man danach nicht ändern, bestraft wird eine vom Menschlichen abweichende Seele.
Ich habe bei mir erfahren, daß meine Taten, zwar gewollt waren und nach der Motivationslehre praktischer Philosophen, im gleichen Fall genauso wieder getan werden würden, aber der Gedanke, daß ich bei klarem Verstand und zur Barmherzigkeit zurückkehrendem Herzen dies nicht gewollt noch getan hätte, half mir dabei auch nach außen hin zu bereuen, ohne mich insgesamt als Person verabscheuen zu müssen. Denn ab jetzt war es ein anderer Fall!
Die Tat, so gering sie war: Das, was ich und wie ich wollte, zu verurteilen, ließ mir die Möglichkeit, mir für die Zukunft eine andere Haltung fest vorzunehmen. Und dies half tatsächlich im einen oder anderen Fall den Motiven „berechtigten“ Zorns das Motiv der Zurückhaltung aus schlechter Erfahrung erfolgreich entgegen zu setzen. Und die Reue über die Tat, das zu spät eintreffende Mitleid, konnte im einen und anderen Fall sogar von manchen Verletzten angenommen werden. Wo dies nicht geschah, bleibt die Erinnerung ein Stachel.
"Es war ein Fehler" ist nicht: "Es tut mir leid!" Viele Terroristen der einen oder anderen Seite entschuldigen sich mit "Irrtümern". Es braucht keine Entschuldigung, sondern den Schmerz des Mitleids, das allerdings zu spät zur Abwendung der Tat kommt. Wer will dem Täter glauben, der auch jetzt keinen Schmerz empfindet.
Mit Erkenntnis des Falschen kommst Du zur Tür. Ohne Schmerz kannst Du sie nicht öffnen. Ob Du Verzeihung bekommen kannst, musst Du fragen. Die Antwort kann nur das Opfer geben. Ist sie oder er tot, kannst Du Verzeihung nicht mehr bekommen. Vielleicht können die Angehörigen Dir ihre eigenen Verletzungen vergeben.
Und Du, mein Freund, ich bitte Dich: verzeihe Du nicht, was nur ein anderer, eine andere vergeben kann.
14.8.2016               Klaus Wachowski

Dienstag, 27. September 2016

zu Glück bei Karl Marx und im Kapitalismus aus 1982

Die menschliche Gesellschaft unterscheidet sich von den Gesellschaften der Tiere dadurch, dass sie durch Bearbeitung der Natur mehr erzeugt, als sie für den augenblicklischen Verbrauch benötigt. Der Kampf um die Nutznießung aus dem Mehrwert ist der Gegenstand der Geschichte, mit der Anhäufung des Mehrwerts erhöht sich die Erbitterung, mit der der Kampf geführt wird, steigert sich außer dem materiellen Nutzen auch der kulturelle, die so genannte Qualität des Lebens. 

Aus dieser grundsätzlichen Feststellung entwickelt die marxistische Theorie ihr im Großen und Ganzen allen anderen Geschichtstheorien überlegenes dramatisches Geschichtsbild, das bis heute von den wirtschaftlichen und politischen Veränderungen bestätigt wurde. Die Theorie ist zwar von einem vorsichtigen Optimismus geprägt, lässt aber durchaus die Möglichkeit offen, dass im vorausgesagten Kampf von Arm und Reich auch der Untergang beider Klassen wie der ganzen Menschheit eintritt. Die Glückspropheten des Kapitalismus werden dagegen stets durch die Realität insoweit widerlegt, als die vorausgesetzte Ungleichheit der materiellen Verhältnisse die Voraussetzung auch ungleicher Verteilung des Glücks ist, welche nur von einer Minderheit der Benachteiligten nicht gefühlt oder für Nichts geachtet wird: Mag es den Benachteiligten noch so gut gehen, so werden sie nie einsehen, warum es Ihnen nicht ebenso gut gehen soll wie den  Bevorzugten. Solange eine Gesellschaft kapitalistisch geordnet ist, wird es Ungleichheit geben und der Kampf zwischen Ärmer und Reicher, Privileg und Underdog nicht zur Ruhe kommen. Der Grund dafür ist im durchgängig egoistischen Charakter der Menschen zu suchen, die sich insofern nicht von den Tieren unterscheiden. Die marxistische Theorie setzt den Egoismus in ihre Gleichung da ein, wo sie davon spricht, das mit dem Lebensmitteln auch die Bedürfnisse steigen, und davon dass der Mensch eben mehr erzeugt als für seine gegenwärtigen Befriedung nötig ist. Die zu allen Zeiten auch auftretenden Eigenschaften von Mitleid und Selbstzufriedenheit einzelner Menschen klammert sie als vernachlässigbaren Faktor aus ihrer Rechnung aus, worin sie eben von der Realität im Großen bestätigt wird. Alle anderen menschenfreundlicher und individualistischer abgefassten Theorien der Wohlfahrt scheitern dagegen gerade an der Unvereinbarkeit ihre Voraussetzungen mit der menschlichen Natur.

Derselbe Egoismus aber, der zu allen Zeiten den Kampf um den Besitz der Produktionsmittel schürte, soll er löschen, wenn - im günstigsten Fall - die ausgenutzte Klasse der Arbeiter die Herrschaft erlangt und die Verteilung des materiellen Überflusses allein bestimmt. Abgesehen von der Tatsache, dass der Ausgang des Klassenkampfes stets ungewiss ist, weil den Menschenmassen auf der einen Seite die Massenmedien und Massenvernichtungsmittel auf der anderen gegenüber stehen, so ist doch kein stichhaltiger Grund abzusehen, dass der Egoismus erlöschen soll, wenn das Ziel der Klassttlosigkeit erst einmal erreicht ist: wo keine Klasse mehr ist, weil jeder nach seinen Bedürfnissen leben kann, sind eben sie doch da. Der Egoismus aber ist deshalb unersättlich, weil, wo er die Not überwunden hat, die Langeweile ihn anfällt, der zu entkommen er mit aller Intensität neue Motive sucht. – 

Da aber von den materiellen Dingen keine Genüsse mehr ausgehen, sucht er sie in den Menschen. So breche nurmehr noch die sexuelle Enthemmung aus und nach einem wilden hysterischen Vergnügen bleibt nur noch ein der Langeweile abhelfen könnendes Objekt: der Lebenswille von Tier und Mensch. Die Spiele werden mit höherem Einsatz gespielt, aus Fußball wird Football, aus Hunderennen werden Hundekämpfe, aus Freude wird Schadenfreude und endlich Grausamkeit. Es wird nicht mehr genügen, Gladiatorenkämpfe und Verbrecherverbrennungen nur zuzuschauen, der verfeinerte Geschmack will selbst quälen, denn im gelangweilten Bonvivant steckt auch ein Heliogabal. 

Solche amerikanischen Entwicklungen zu verhindern ist nur ein Polizeistaat fähig. Wem aber die Macht gegeben wird, lernt den Genuss der in der Beherrschung der Menschen liegt rasch so deutlich kennen, dass er von sich aus nicht gerne auf sie verzichtet. 

Da man schließlich auch seinen Kindern gerne etwas Gutes tut, liegt in jeder nur möglichen Herrschaftsform die Gefahr der dynastischen Verfestigung, deren Endpunkt die Tyrannei ist. So ist für die Menschheit auch nach einer Beseitigung der schlimmsten Not - und abgesehen von der Vervollkommnung der Vernichtungsmittel - nicht der Ausbruch eines glücklichen Zeitalters zu erwarten, sondern nur das dann ungestörte Dahinsausen auf der Todesbahn zwischen den Abgründen von Glückserwartung und Todesfurcht, unterbrochen nur von weit gezogenen Strecken der Langeweile.

Unkenntnis des menschlichen Charakters überhaupt ist das Erbe, das die marxistische Theorie von Hegel übernommen hat, Die Lobhudler des Kapitalismus bleiben bei der Reklame. Müssen sie zur Erklärung der Realität die Herrschaft des Egoismus anerkennen, indem er den Bürger als homo homini lupus, den Marxisten verschleiert als der Mehrwert erzeugende und sich darum reißende Wille erscheint, so darf er, um die der Schönheit entgegengesetzten Projektionen nicht zu gefährden, nicht unveränderlich sein, sondern muss Ausdruck einer unglücklichen Verkettung äußerer Umstände sein, deren Veränderung durch eine mystische Verwandlung der Absichten eines freien Willens möglich ist.

Die bürgerlichen Enthusiasten träumen davon, dass dem Egoismus der Reichen eine Selbstgenügsamkeit der Benachteiligten korrespondiert, welchen ihr Glück nur deutlich gemacht zu werden braucht, um sie ruhig zu halten; die marxistischen glauben an das Erlöschen des Egoismus nach erfolgreichem Klassenkampf. Beide Vorstellungen operieren plötzlich mit den Beispielen des so selten vorkommenden und bis zu diesem Punkt der Theorien mit Recht vernachlässigten Mitleids und Genügsamkeit, wo Mitleid im Fall des reich geborenen Samariters durch die Schwere des Reichtums und damit größere Selbstüberwindung einen ebenso großen Eindruck macht wie die häufigere Hilfsbereitschaft unter Kampfgenossen in Not, die weniger aber ebenso alles zu verlieren haben. Die Selbstgenügsamkeit der Armen tritt aber vor allem da auf, wo noch das Wenige zu verlieren ist, ist also auch Anzeichen der Angst, nicht ohne weiteres der Zufriedenheit. Und alle Hilfsbereitschaft in der Not pflegt nicht nur zu erlahmen, wo die des anderen beseitigt ist, sondern auch wo Stillhalten oder Niedertreten die eigene erleichtern kann. (So erlebt Im Kampf Der Arbeitslosen gegen die Arbeitslosen ab den 80er Jahren).

So besehen hofft der bürgerliche Prophet auf die Verblödung der Massen, der marxistische auf die der Individuen. Es geht darum, an den Menschen unter Vorspiegelung von Vorteilen den Egoismus auszureden. Der Kapitalist wirft einen Fußball in die Menge, sie vom Betrachten seiner Villa abzulenken, der Marxismus verspricht jedem eine Villa und hoffe, die niedrigen Instinkte totzufüttern. Im ersten Fall gewinnt durch die verminderte Aufmerksamkeit der Menge der Egoismus der Privilegierten an Leichtigkeit der Ausdehnung und erzeugt weitere Not, die den Egoismus der Menge aufpeitscht; im letzteren schärft der Wegfall der materiellen Unterschiede das Interesse für das jeweils im Besitz des anderen Menschen befindliche. Das Interesse des Egoismus geht eben nicht auf irgendeinen ihm zugestanden Besitz, sondern auf Besitz überhaupt, auf die Möglichkeit, sich alles ihm sichtbare anzueignen. Und diese Möglichkeit auch einen anderen zugänglich bloß zu wissen, erzeugt den Neid, der bereit ist, allen eigenen Besitz hinzuwerfen, nur um den des anderen diesem zu entreißen. So hält den Egoismus nichts in Zaum außer die Furcht vor dem des anderen. Gerade sie ist es aber auch, die den Egoismus zu immer größerer Anstrengung treibt, den Anderen, wo er ihn nicht treffen kann zu überlisten. Das ist auch der Grund, warum die Herrschenden aller Zeiten trotz der vielfältigen Möglichkeiten, ihre Zeit in Saus und Schmaus zu verbringen, so unglücklich durch das Leben hetzen. Wo der Eine steht, entdeckt der Andere seinen Lieblingsplatz.

Text aus 82, gekürzt lediglich um zwei, drei kryptische Passagen

Ergänzung 2016:

Die Überlegenheit des marxistischen Ansatzes muss ich wohl zurücknehmen. Er geht ja von nichts anderem aus als der kapitalistische. Beide unterschätzen die Möglichkeit der Vernunft, die wenn auch nicht zur Abschaffung so doch zur Minderung von Leid und zur Stärkung von Freiheit immer wieder sich fähig gezeigt hat. Die Republik der griechichen, römischen, englischen, französischen und amerikanischen Revolutionen allein hat nach dem Zusammenbruch der Glaubwürdigkeit der Ideologien die Chance zur bürgerlichen, unter den Einzelnen verhandelten, Planung von Glück. Die 68er kehrten als Grüne zu ihr zurück. Auch sie haben sich aber inzwischen auf andere, spezielle Felder als bevorzugte Themen konzentriert.
27,9,2016

Samstag, 24. September 2016

Alte Texte


heute zu Nietzsche
 
Beim Demenzbäck mache ich mir Gedanken über meine früheren Gedanken zu Nietzsche.
Was mich ärgerte war die Selbstkultivierung eines narzißtischen Strebens.
Als Dichter ärgerte mich die Metaphernschmiere als Hintergrundmalerei einer Moralpredigt im Amoralischen.
Als Denkendem ging mir die Primitivität auf die Nerven, mit der über Jahrhunderte intensiven fragenden Ernstes von Religion und Philosophie hin gestiefelt wurde, als politisch Freiem das Lob von Herrschaft, für die sonst nur Diktatoren, ihre Kriecher und Orks werben.
Als dem Menschen Zugehöriger widerte mich seine Wut über die Menschlichkeit an bei gleichzeitiger Aufforderung zur Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden.
Schopenhauer, für mich bis heute Höhepunkt der Philosophie, für ihn ein verhaßter Meister, stellte er neben Christus als ein zu überwindendes Wollen  dar, ohne auch nur einen Pieps Erkenntnisphilosophie beizutragen.
Von Kant hatte er wohl so wenig Ahnung wie sein Begleiter in Narzismo Wagner Bezug zu Bach. Und leider natürlich erhielten beide die höchste Zustimmung bei einem Publikum, das -des Selbstdenkens und des Geschmacks müde- nach Gegenständen und Personen der kritiklosen Verehrung lechzte.
Beide stellten auf die Ruinen einer zerfallenen Epoche schillernde Abbildungen eines Ich-Ich und verkauften sie unter Ausstoßung gewaltiger farbiger Nebel mit Gewinn in der Weltanschauungsbude Romantik. Tönender Bauch und skandierender Phallus dienten denn auch immer wieder gern zum Aufputz des Herrschaftswahns nachfolgender Ideologen.
Hier, was ich von meinem alten Text noch unterschreiben kann. Ich staune, wie wenig geändert werden muß:

Nietzsche,
Vor dem Gebrüll des Willens zur Macht sind alle Philosophen bis auf ihn davongelaufen. Was er als Kraft anbetet, hatten sie nämlich als Schwäche im Geist erkannt, die sich nicht weniger laut als im Brüllen des Löwen in dem Kreischen des Esels äußert.
Wo Nietzsche über die Schwäche der Menschen lacht, lacht der Stolz einer Sklavenseele auf die Macht ihres Herrn. Was für eine klägliche Gestalt dieser umschwärmte Wille zur Macht doch aus der Nähe abgibt! Der über seinen Schatten zu springen suchende Zarathustra: ein Egoismus, der seinen Kopf auf die Straße legend eine Nachkommenschaft herbeifleht, die ihn zertreten möge. Wollen ohne Erkennen.
Es sieht ja so aus, als gäbe die Natur der Sehnsucht nach dem Übermenschen nach, indem alle vorhergehenden Jahrhunderte dem zwanzigsten an Bestialität nichts entgegen zu setzen hatten. Aber das lautere Heulen der Wölfe beim Knochenknacken deutet außer auf Stärke auch auf größeren Hunger hin, so dass selbst dem Übermenschen bei etwas Abstand vom eigenen Interesse die Frage kommen müßte, wozu dieses ganze wild gepeitschte Wollen gut sei, wenn die Lust nach dem Fressen, Saufen, Begatten und Töten von erhöht quälender Langeweile und Begierde gefolgt ist.
Aber gerade der Übermensch ist nur einer, weil ihm diese Frage nicht eingeht, weil er eben Wille, Herrschaft des Instinkts über den Geist, ist, welche ihm nicht sich selbst zeigen soll, sondern den direkten Weg zur Befriedigung.
So schreibt denn die an den Schein des Lebens gefesselte Herrenseele in § 56 des ,,Jenseits von Gut und Böse" das folgende Bekenntnis des Egoismus nieder, in dem der Trieb sich gegen das Fragen der Philosophie aufrichtet: -

"Wer, gleich mir, mit irgendeiner rätselhaften Begierde sich lange darum bemüht hat, den Pessimismus in die Tiefe zu denken und aus der halb christlichen, halb deutschen Enge und Einfalt zu erlösen, mit der er sich in diesem Jahrhundert zuletzt dargestellt hat, nämlich in Gestalt der Schopenhauerrischen Philosophie, wer wirklich einmal mit einem asiatischen und überasiatischen Auge in die Weltverneinendste aller möglichen Denkweisen hinein und hinunter geblickt hat -jenseits von Gut und Böse, und nicht mehr, wie Buddha und Schopenhauer, im Bann und Wahne der Moral-, der hat vielleicht eben damit, ohne dass er es eigentlich wollte, sich die Augen für das umgekehrte Ideal aufgemacht: für das Ideale des übermütigsten, lebendigsten, weltbejahendsten Menschen, der sich nicht nur mit dem, was war und ist, abgefunden und vertragen gelernt hat, sondern dies, so wie es war und ist, wieder haben will, in alle Ewigkeit hinaus, unersättlich da capo rufend, nicht nur zu sich, sondern zum ganzen Stücke und Schauspiele, und nicht nur zu einem Schauspiele, sondern im Grunde zu dem, der gerade dieses Schauspiel nötig hat - und nötig macht - - Wie? Und dies wäre nicht - circulus vitiosus deus?"

*
Fragt sich der Philosoph: "Das sagt doch schon der Instinkt. Wozu also fragen?"
Das überasiatische Auge des Ego hat entdeckt, dass das Leben doch einiges an Aufregung zu bieten hat, von der es in Ewigkeit den Wanst nicht voll genug haben kann. Auschwitz und Hiroshima breiten für derart überasiatische Aufmerksamkeit allerdings allzu penetrante Gerüche aus.
Mag dieser Ausbruch von Lust über Massengräbern, die die Grauen erregenden Dimensionen des folgenden Jahrhunderts noch nicht erreicht hatten, auch nichts mit der Gemeinheit einer Hefe zu schaffen haben, die in solchem Raunen und Rufen eines sich zu rechtfertigen suchenden Egoismus die rechte Propaganda für ihr Rasen zu finden glaubte, doch auch über Dachau muss Zarathustra sein goldiges Lachen lachen, seine Tarantella tanzen, wenn er so ernst gemeint ist wie er sich lustig über die Menschlichkeit macht.
Er hat es so nötig, wie es war und ist! Ob Löwe, Adler, Esel, Affe, ob Zarathustra oder Hitler: das Gebrüll des Willens zur Macht erweist sich dem Philosophen als ein und dieselbe Melodie in der jammervollen Operette des Lebens, die alte - nach dem Wort von Karl Kraus zu Caruso: "Wenn der Auerhahn balzt!"
Dem "Es ist alles eitel "des Salomo antwortet das "argh!" der Geilheit, welche der Urgrund des Optimismus ist und alles Menschenleiden will, weil ohne es die Lust nicht möglich ist.
Schopenhauer zog die buddhistische Lehre daraus, Christus stand für Leben trotz Leiden, aber auch gegen das Leiden, für Liebe als das Überwindende. Daraus mag jeder jeweils die ihm genehme Haltung begründen.
Die Philosophie verläßt hier ihr Terrain, begibt sich aus den Regionen der Einsicht in die Nebelwelten der Spekulation von Absichten. Es tönt Romantik und es zeigt sich, wer dem Rufen folgt, seine Vernunft loszuwerden. Für Glasperlen von Worten, Blasen werfende Musik bereit jedem Rattenfänger zu folgen.
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Wie wenig ein Übermensch ein solcher von Geist ist, zeigt N auch in der Frage, die er in Paragraph 16 den Philosophen stellt: "Woher nehme ich den Begriff Denken? Warum glaube ich an Ursache und Wirkung? Was gibt mir das Recht, von einem Ich als Gedanken - Ursache zu reden?", der ein Philosoph doch sogleich das Nichtwissen und das Drauflosschwatzen abhört. Von wo soll denn der Begriff des Denkens sonst kommen, als von dort, wo alle Begriffe ihren Ursprung haben, nämlich aus der Vorstellung?
Aber hier hat er den Schopenhauer nicht gelesen, und nicht verstanden, was Lou Salome ihm davon berichten konnte. Er war sich wohl zu gut für Erkenntnisphilosophie und spekulierte eben aus dem gekränkten Phallus. Dass aus dem Übermenschen dann der Ork des Triumphs des Willens zur Herrschaft wurde, mag er nicht gewollt haben. Er hat es mit herbei gesungen.
Klaus Wachowski 2016, nach einem Text von 1983 - Gestrichen wurden Längen und Schärfen.