Freitag, 17. April 2020

Happy Jack 09

Happy Jack

Wenn Du zwanzig Jahre Familie warst, willst Du auch mal Ich sein. Hans hatte sein Abi, ja sein Studium in der Tasche und sprang hinaus in die Welt.

Ein Stück seiner Freiheit schnitt er für die Firma ab. Da gabs Geld, Wohnung und Auto. Wie froh unser Hans da war: jetzt konnte er für sich wohnen und einfahren, was das Herz begehrt.

Aber was für ein Glück, als er von seiner Grete genommen wurde! Jetzt sagte er zur Freiheit "Autonomie", konnte er doch ein Haus bauen, viel mehr zusammen erleben und der Einsamkeit entwischen. Und wie frei er war von der Welt und ihren Erwartungen!-

Was dann? 

Da gab es Kinder. Das war ein Fest: endlich konnte er all seine Gedanken weiter geben. Was war dagegen das Bißchen Freiheit, das er dafür tauschte. Er bekam ja so viel Glück dafür.

Zogen die Kinder aus, ach da streckte er die Beine unter die blitzende Harley Davidson und freute sich wie ein Schweinehirt auf Martini. Jetzt konnte er alles Geld mit seiner Grete verprassen. Sie kauften dicke Autos und machten die teuersten Diäten. Und wenn er morgens mit schwerem Kopf beim Alka-Seltzer saß, da freute er sich so laut, dass die Lehrer an den Nebentischen vor Neid ihre Kleinkinder anzischten.

Wer aber kann sich die Freude vorstellen, als er endlich, endlich in Pension gehen konnte. Es zwickte zwar hier und da, die Beta-Blocker machten flau und Grete zog zu Urmutter-Seminaren. Aber die Welt war weit und die verbotenen Äpfelchen lockten.
Wie gut er doch sein Geld angelegt und die Häuser vermietet hatte! Die Scheidung erledigte ein Tennisfreund für fast geschenkt. Er konnte seine Pflegerin aus jedem Land östlich der Neiße kaufen.

Wenn Du seinen Grabstein finden willst, mußt Du lange suchen. Die Erben haben seine Asche nach seinem Willen verstreut. Und jetzt sag mir: Wer hat mehr Glück aus seiner Freiheit gemacht?

16.08.09 Klaus Wachowski 


Mittwoch, 15. April 2020

Zen schamanesk

Zen schamanesk 

In heilgen Orten wabern Chakren,
Wo dunkel tiefe Tiefen flackren.
Urmutter sticht gechannelt high,
Sakral umflortes Arschgeweih.

Astral wiegt sich der Beckenboden,
Was lustvoll schwillt, erscheint verboten. 
Die Mondin leuchtet somnambul
Für 40 Euro - Cool!

Rebirthing tanzt das Labyrinth,
Van Gogh soff morgens schon Absinth.

Mein Gott folgt lieber armen Irren, 
Als sich Schamanen anzuschmieren.
 
28.6.2009

Samstag, 4. April 2020

2009 Zwei Amseln

Zwei Amseln

Wie schön der Morgenstern! Die Alpträume lösen sich auf in feine Fäden, die Hoffnungen senken sich in tausendfingrige Büsche. 

Es ist da, 
ich werde es verlieren, 
ich öffne meine Aufmerksamkeit. Da ist das Labyrinth, in dem Du das Ich spürst und aus dem Du Gott rufst von Unbekannt zu Unbekannt. 

Mit zerbrechlichen, brechenden Werkzeugen geht Wittgenstein an die philosophischen Gebirge. Was ist dem Fragezeichen nicht fragil? Aus den gebrochenen Erinnerungen ragt eine Nichtwissen reflektierende Ruine Ich.
Gott sagt: "Nachtblauer Halbschatten!" Die Amsel schwingt sich auf die Baumspitze. Sie ruft ihren Mann oder Frau herbei. Die grünen Blätter in den Gärten sind plötzlich plastisch und saftig von Realität. Es duftet nach frischer Welt.

Foucault schlägt im Manuskript seiner Seele nach und kann das Kapitel Ich nicht finden, wiewohl er jedes Wort einzeln buchstabiert. Der bukowinische Rabbi lacht und wirft die Buchstaben hoch in die Luft. Gott fällt als Sonnenfunken in den von Tannennadeln bedeckten Staub Deines Herzens. Die Amsel deutet auf mich und sagt: "Schau  mal, ein Ich." 

Armut vom Feinsten und Einsamkeit vom hohen Niveau treffen einander beim Billigbäcker. Cogito, ergo sum. Was ist das Ich außer Subjekt der Erkenntnis im Tsunami? Rene Descartes könnte auch ein Automat Gottes oder des Menschen sein. Woher weiß ich: "Das ist Ich-noch-einmal"?

Die Amsel blickt über die Rentnergärten, wo sich die Alten freies Schußfeld geschaffen haben. Ein letztes Sichern der menschlichen Ordnung, bevor der Dschungel die Herrschaft erobert und der Ohnmacht, dem Tod und der Einsamkeit seine Schatten öffnet. Wer spielt dann mit Dir das Katzenspiel?

Mein Ich steigt aus dem Manuskript seines Lebens. Es spürt die Erstmaligkeit dieses Morgens und hört den Glockenklang von Märchen. Bin nicht auch ich heute zum ersten Mal? Das Blau senkt sich in die Grasstoppeln, in die Federn und in die Seele. Ich atme neuen Tag in blühende Erinnerungen.

Die Einsamkeit setzt sich an den Tisch und die Not ruft die Nacht, in die die Romantiker ihre Lügenmärchen träumen. Ja, wenn das Du "Ich" sagt, was soll dann das Ich sagen? Ein Wettbewerb zuckelt vorbei. Es gilt, die Ernte guter Beziehung einzufahren. Die Literaten von Gemütlichkeit und Drang zeigen ihre Waggerl- Weihnachtsgedichte. Man dekoriert heute aber auch mit Gebrochenheiten Stärke. Vorne strebt der Ruhm, hinten wedelt die Sklavenseele. 

Der sterbende König hält den Spiegel in der Hand, um sein Leben bei der Auflösung zu beobachten. Sie wird schneller sein als das Licht, das zurück eilt, ihm seinen Tod zu melden. Seine Augen verwandeln sich in Hologramme, in deren Tiefe Verwirrung flackert. Wenn Gott ein erkennendes Wesen ist und auch der Wurm zumindest weiß, was vorn und hinten ist: was sehen sie, wenn sie in sich hinab schauen? 

Ich frage den Obdachlosen nach dem Weg zu den Menschen. Er lächelt und zeigt auf seine Wundmale. Das Sein bestimmt das Bewußtsein. Zu den Menschen mußt Du nicht kommen. Sie holen und sie bedrücken Dich. Als Kind Gottes bleibt Dir nichts als Leben und Tod, Gruß und Abschiedsgruß. Ich bin von Erkenntnis besoffen. 
Die Amsel ruft einen Liebesjubel. Zu ihrer Frau sagt sie: "Siehst Du das Ich da unten? Randvoll mit Erinnerungen. Es geht schon zur Hälfte unter der Erde." Tatsächlich höre ich über mir schon die Schritte der neuen Zeit. Sie spuckt neben mir aus und schickt Zäpfchenbomber in die Welt Gottes.
  
Aufbohren der Aufmerksamkeit? Alle Windows-Entfesselung führt nicht näher ins Herz des Anwenders, der soeben die Taste "del“ drückt, um Deine Vernunft zu formatieren. Turbo-downloade Deine Depression, Wellness all-inclusive.

Aber die neue Zeit mischt sich auch neu: Die Liebe strafft das Ego der deutschen Ureinwohner mit den Massagen Asiens, und die Provinz zerfällt wieder in Familien. Ein Kinderwagen für 1.000 Euro fährt den neuen Dalai Lama ins Ich des Menschen, während Gospel, Glatz und Kopftuch sich zusammentun, um den Minirock zu steinigen. Wir philosophieren. Zur Begleitung wähle ich mir den Irrtum und Gott, das Fragezeichen.

*

Reden wir vom Du nach dem das Ich sich sehnt, wenn ihm nichts geblieben ist als Raum und Zeit. Der Wille zur Macht lacht darüber und stolpert über einen liebeskranken Amok, der eine Heilige umarmt. 

Am Sterbebett sagt Narziß:  "Meine  Mutter hat mich nicht geliebt." Sie sehnte sich nach Liebe und zog ihre Jungen zu Helden und Bestien heran. Ein BMW von der Betriebswirtschaft rauscht durch den Vicar of Wakefield. Homo oeconomicus reicht bei Hartz IV lnsolvenz ein. Welchen Abschreibungssatz nehme ich auf die Ewigkeit? 

*

Wer weiß schon Wahrheit? Der Allwissende oder der Dämon des Sokrates? Woher weiß Gott, daß Du ein Ich bist wie er? Ist die Grenze der Sprache die Grenze der Welt? Und was sagt da wohl der Koma-Patient zu all unseren Gewißheiten? Man könnte den Papst fragen oder den Parteivorstand, Weisheit und Prada. Ich ziehe vor, mein Nichtwissen nachdenkend zu erwerben.     

 05.10.09 Klaus Wachowski

Donnerstag, 2. April 2020

2009 zu Mio, mein Mio

Lindgren Mio mein Mio

Nach Kato

Der Name des bösen Ritters müßte eigentlich umgekehrt heißen: Cäsar. Nach dem Sieg über Kato kommt der Friede in Mios Land. Die düsteren Erden überziehen sich mit grünen, von Blumen duftenden Wiesen, im Himmel fliegen gesellige und fröhliche Vögel, die Wolken ziehen durch ein strahlend blaues Himmelsmeer.

Ein sanfter Wind weht aus der Erinnerung herüber.

Einsamkeit und Trauer legen sich schwer auf das Land.

Das Böse ist vernichtet, die Welt des Helden leert sich. Was kann er tun? Er wird nicht gebraucht. Wenn er zum Himmel oder zum Horizont schaut, findet sein Blick keinen Halt. Das Herz ertrinkt in Erinnerung und Sehnsucht. Die Freunde sind in Familienverbänden aufgesogen und verbringen den Tag mit Sicherung und Vermehrung von Besitz und Nachkommen. Das schwarze Korn Einsamkeit bohrt sich in den Grund seiner Seele. 

Wie kommt es, dass er in die Liebe fällt? Wir wissen es selbst nicht mehr. Ein gewisser Schmerz von Einsamkeit scheint die Bedingung. Ist es nicht so, dass sie die Sinne für den Ort des Glücks - und Leidens - schärft, wie der ausgetrocknete Körper die Sinne für den Geruch von Wasser es tun soll.

Vielleicht immer treffen sich zwei Einsame in der Liebe. Und was ist Sexualität, der Verführer, anderes als Sehnsucht, als Ausdruck der Einsamkeit? Erlischt sie doch in den Wassern des Glücks.

Nun ist Mio alt. Umgeben vom Glück seiner Familie verabschiedet er sich. Er muß keinen "letzten" Kampf mehr führen, um die Welt aus der Not und sich selbst aus der Langeweile zu retten. Er muß seinen Besitz an Glück wieder zurück geben. Leiden. 

Die Wege der Familie trennen sich. Die Entfernungen werden größer und als Gewinn an Freiheit und Rückkehr der Einsamkeit fühlbar. Das Schicksal bricht in den Frieden ein und schlägt große Wunden. Die Erinnerungen reichen nicht mehr aus, die Trauer um den Verlust zu neutralisieren. 

Ihm bleiben Tag und Traum. Nun wartet er auf den Tod. Er hütet sich davor, zu sehr über das Unvermeidliche zu klagen. Aber er verschweigt auch seinen Schmerz nicht. Was an Glück der Liebe, Freundschaft und Offenbarung der Natur geblieben sind, nimmt er als Geschenk mit in seinen Schlaf. Und die Erinnerung beschert ihm einen Traum voll Freude und Schatten der Sehnsucht dazu. So fliegt er mit seinem Pferd auf diesen dünnen Strich am Horizont zu. Manchmal hört er die Stimme seines Freundes und seiner Gefährtin im Wind. Er dreht sich um und wird vom Licht aus der Zeit fast geblendet. 

Von unserem Tisch am Wegrand aus wünschen wir ihm noch einen weiten Weg.

*

Andere hatten sich verloren, bevor sie etwas oder jemanden gewinnen konnten. Auch sie gingen einen Weg. Das Glück, das sie suchten, war auf der Rückseite Leid. Sein Name war Ich. Sie fürchteten die dunkle Seite und flohen daher auch vor dem Glück in die Zwischenwelt des Überlebens, der Pflicht, des Erfolgs. Die Gesänge und die Flüche, die Schmerzens- und die Lustschreie der anderen hörten sie lächelnd und staunend. Auch sie warteten auf die letzten Stunden, während sie die Gegenwart nahmen, wie sie war. Ungerührt. Auch sie näherten sich dem Horizont. In der Nußschale Alltag trieben sie dahin. Überholt von den Glücklichen, vorbei an Gestürzten der Hoffnung. 

In einem Augenblick der Stille begegnet dem Verzagen die Hoffnung. Ein Mensch tritt ins Leben oder hinaus in das nächste. Lassen wir uns fallen. Die Sonne läßt das Stäubchen schweben. Sehen wir hinaus. Hinein...
 

06.09.09 Klaus Wachowski

pinke Giraffen aus 2009

Verwirrungen


Aus meiner Einsamkeit sehne ich mich hinter den Horizont, der Deinen zu begegnen.
Die Schmerzen der Liebe, die Desintegrationen der Einsamkeit. So trennen sich schließlich auch die Leiden. Es bleibt die Hoffnung auf die Zeit.

*

Dunkel sind die Augen von Abschied. 
All die tätigen Tätigen, wie beneide ich sie plötzlich um ihre Not! Schwatzen höre ich die Schwatzenden. Mein Schweigen ist lauter.
Der Bach plätschert fern aus der Zeit. 
*
Ich hole den Tee aus dem Schrank und bekomme einen Stich. Es war eine der letzten Handlungen, bevor Du gingst. Die Liebe hat etwas Romantisches. Sie ist wie ein Märchen, dunkel und hell. Wie das Leben in einem Tropfen Augenblick.
There is fiction in the space between You and me, singt Tracy Chapman.
*
"There is friction in the space between", schrieb ich vor einem Jahr mit Bezug auf das gleiche Lied. Waren damals schon Einsamkeit und Liebe das Thema?

"Pinke Giraffe vor dem Horizont".

Ich lese nach: „Welches sind Deine Träume, und: bleibst Du jetzt für immer bei mir? Ich erwache aus einer sommerlichen Ermüdung in einem geschäftigen Herbst. 
Blau tagt der Tag. Die Blätter zittern im Wort des Windes Ewigkeit. Die Einmaligkeit des Lebens singt im Ratschen der Rollläden, im Schimpfen  der  Amsel, im Aufprall des faulen Apfels, im Brausen der Autos und in der Erlösung der in mich einströmenden Luft.

Damals sagte das Licht zu mir: Geh in das Leben: Es ist schön. Ich glaubte, gemeint sei Zukunft. 

Ich sehe den 11. September. 

Im Schrecken des Menschen vergehen Wert und Welt. Die Lichtstreifen im Himmel drehen sich ineinander. Aus dem Wald schimmert die grüne Höhle Deiner verborgenen Wünsche. Von den Baumwipfeln senkt sich der Frieden aus Giraffenaugen. Golden glitzert es auf dem rosa Leib. 

Dann, Hänsel und Gretel, geht in die Landschaft hinaus. Am Fluß wartet der sanfte Elefant auf die Elenden der Welt. Und Jesus bricht das Brot, Rosa Luxemburg streichelt den blutenden Ochsen. 

Eine Mutter fährt ihr Spielzeugkind zur Schule. Das wird mal ein guter Roboter. Ein Hund bellt aus dem Haß eines Herrenmenschen.

Der Elefant macht einen Paradigmenwechsel, ein Kanzler greift ins Hack mit Zwiebel und macht wieder in 68. All diese Betriebswirtschaftsnudeln: Vom Schreibaby zur Bollywood-Schachtel.

Ich liebe pinke Giraffen und ihre Freunde in Barbie-Grün. Sie studieren Sozialarbeit und aus ihren Handtaschen lächelt verschmitzte Betriebswirtschaft. Mit 40 bricht plötzlich das Ich aus, die Ganzkörperrasur und das Lesen von Romanen. Ferne Welten, ersehnte Lieben unterm Bogen einer rosa Giraffe.

Ein Rudel  Spielzeugkinder hüpft vorbei. Großeltern träumen unzutreffendes Glück der Erinnerung. Der Kaffee löscht Bitterkeit in süßer Bitternis. Feucht glänzt in der Sonne eine Unterlippe pink. Welches waren die Küsse?
*

Oozabfd iis! -, es kracht wie Knochen. Der Himmel bekommt einen fürchterlichen Riß im Display.

Die Heimat der Götter versinkt in einem Lichtermeer. Eva in der Wanne vom goldenen Wasserhahn spürt das Einströmen der Reiselust ins Rentenalter, als ein Post-68er Trockenstraus auf dem vergessenen Barocktischchen einer Liebe auf den ersten Blick. Die pinke Giraffe beugt sich vom Horizont herab, Dich zu erlösen.
Alles wird gut: Gott schlägt Boris Becker im Dritten Satz. Deutlich ist sein Faltenhals zu erkennen. Yasunari Lagerfeld kommt wieder. Das Verfassungsgericht sagt okay zum Pferdezopf eines Polizisten.

*
Der Schlagersänger bemerkt, dass der Weg zum Regenbogen durch das Tal der Einsamkeit führt. Er bietet der öfters weniger Schönen Bier und Wein auf dem Sofa. Sie hat natürlich gemerkt, dass er auf einen vergrabenen Goldtopf spekuliert. Er soll dafür von der Einsamkeit Meer verschlungen werden. Sie läßt sich sein Schmeicheln und Streicheln gern gefallen und schickt ihn, bevor er sich in weichen Pfühlen beweisen muß, zurück in die Hitparade.

Die pinke Giraffe hat einen 3-Tage Bart. Und ich frage mich mit Virginia: Gibt es Geschichten? Hinter den Wolken das Antlitz der Barbie- Schwester. Und hinter ihren Flügeln plötzlich der Elefant.  

Die rosa Giraffe beugt ihren Kopf herab in Deine Tränen, meine kleine Schwester vom Rand der Wüste, die kein Medikament rettet, weil der Forscher in die Abrechnung statt ins Mikroskop guckt.

An den Blättern zeigen sich erste Verfärbungen. Rot. Rot blühen die Rosen am Strauch. Rosa wiegen sich die feinen Blüten der Mimosa. In den Grüßen der Menschen liegt wieder Wahrhaftigkeit. Die Ouse rauscht auf. Aus den Wellen ragt der Kopf einer Giraffe pink. 

*
In der Scheibe des Regenschutzes sehe ich mein gelbliches Gesicht. Wie lange noch? Ich rede am Telefon fern. Von Fehlern und Schuld.

Du bist schon auf dem Weg. Du hörst zu, aber Du sagst auch das Eigene. Froh höre ich in Deiner Stimme Zaghaftigkeit und die Absicht, sie zu überwinden, Sensibilität und den Wunsch, sie Dir nicht nehmen zu lassen. 

Und Du halte weiter fest die andere Sehnsucht nach eigenem Raum für Dich und all die Freien, auf den Wanderungen der Freien. Lass uns das Leben hüpfen sehen unter der Sonne, im Regen und zu den Sternen...

Und wie ist es mit Dir, Suchender? Noch hältst Du das Leben fest an der Drachenschnur. Ich sehe und fühle die Sehnsucht, die Kraft. Ich wünsche Dir die Kraft, loszulassen und ins Vertrauen zu sinken. 
Ich höre das Lachen der Macht. 
Ich atme die Luft der Freiheit. 
Die Liebe berührt meine Sehnsucht. 
Eros aber verschlingt mich. 
An der Schneewand des Yasunari Kawabata erwache ich. Es glitzert von tausend winzigen Stichen aus Reflexen des Sternenlichts. 
Ich nehme Deine Hand und lege sie in die des sanften Elefanten. Dunkel erhebt sich sein Schatten aus Deinem Vertrauen. So gehst Du vor ihm ins Tal. Es duftet nach Blüten, Früchten und einer verborgenen Ecke Kindheit. Kehre zurück in die Sehnsucht vom Ursprung her.

Pinke Giraffen versammeln sich an einer Wasserstelle im Horizont. Eine Herde Elefanten gesellt sich dazu. Friede erhebt sich aus Afrika.
Eine pinke Giraffe für Karl Lagerfeld. Und für – 
Dich.

13.09.08, erneuert 9.9.09, Klaus Wachowski

Mittwoch, 1. April 2020

Aufmerksamkeit 2009

Gelöscht 1 2023 KW

Glocken aus 2009

Glocken

-Ein Angebot der Bäckerei: "Schmandliebe" ist keine Puddingbrezel.-

In einem Lied von Klezmer-Revolution singt der Chor: "Vor Eurem Jahwe, Allah, Jesus habe ich keine Angst. Aber ich habe Angst vor dem, was Ihr im Namen Eures Gottes tut." 

Wenn Eure Glocken läuten, wenn Eure Priester singen und tanzen, wenn Eure Weisen zur Feder greifen, dann habe ich Angst um mein Kind. 

Wenn der Volksfreund weint, der Dichter zu psalmodieren, das Karusell sich lustig zu drehen beginnt, auch dann fürchte ich Dich, Mensch. 

Es sind nicht nur die Stammtische.

Was geschieht in einem Dorf in Rußland, wenn sich die Kirchenportale unter dem Läuten der Glocken öffnen und die Frommen sich sammeln? Die Juden verstecken ihre Kinder im Keller. Und wenn das Rodeo vorbei ist, steigt der KuKluxKlan auf die Pferde. 

Vergießt keine Träne für schöne Erinnerungen, wenn Ihr der Zukunft schreckliche ersparen wollt. Kein Gott will, dass Abraham seinen Sohn schlachtet. 

Eine Bekehrte weiß zu berichten, dass Gott für jeden eine persönliche Aufgabe habe. Sollte es irgendwo in den Wortschluchten Deines heiligen Buches stehen, sage ich Dir: das hat der teuflische Ehrgeiz eines Religionspoeten hineingeschmiert! 

Wenn es Gott gibt, hat er Dich zum Leben, nicht zum Funktionieren erwählt. Und schon gar nicht dazu, seine Geschöpfe zum Funktionieren zu bringen.

*

Es war einmal ein Kind. Es wurde mit Schmerzen empfangen und in Sorgen gewickelt. Unter Klagen der Mutter und Schweigen des Vaters wuchs es heran. So wünschte es, schon bald in die Welt der Freien und Sorglosen entfliehen zu können. Es lernte junge Männer kennen, voll phantastischer Hoffnungen und animalischer Sexualität. Einige davon flogen leicht durch das Leben, sie aßen Junkfood, rauchten, soffen und ruinierten ihren Körper auf alle erdenkliche Weise. Das gefiel ihr. 

Sie gebar ein Kind in den Schmerzen einer natürlichen Geburt und wickelte es in Sorgen. Irgendwie kam sie zur Stadtmission. Anhand der Begeisterung eines Vorpredigers lernte sie, ihre Vergangenheit, Herkunft, Familie zu verachten, ihre Freunde zu verlassen und einen Herrgott zu lieben. Jesus, mit dem kam sie irgendwo nicht zurecht. Er war so chaotisch. Richtig okay war eigentlich nur der Vatergott, der wußte, wie man zu leben hat. Drüben bei den Baptisten machten sie Jesus zu einem König. Wo blieb da der wahre Gott? Und bei den Katholen gab es einen seltsamen Mutterkult, der einer Frau keinen Platz ließ, nicht einmal im Gehorsam.

Wo war nur das Kind hingekommen? Sie hatte es über fröhlichem Entsagen und Gotteslob völlig vergessen. Nun: es nahm keine Drogen, beging keinen Selbstmord und studierte, wie man reich wird, um die Familie aus dem Dreck zu holen. 

Wird er nun Arzt, Manager oder beliebter Schauspieler? Wer weiß? Seine Freundin wickelt ihr Kind in Einsamkeit.  In Erwartung des Reichtums, in Klagen oder fröhliche Entsagung der Mutter. Ich kann mir keinen Gott oder Jesus vorstellen, der so etwas will.

*

Du fragst, was das denn für ein komischer Gott sei. Auch das weiß ich nicht. Ein komischer Gott als Bruder Jesus des komischen Menschen? Der oder die oder das würde mir schon gefallen. 

Es könnte zum Beispiel die Nummer 6 oder 79 auf Deinem Display sein, vorausgesetzt, Du hätest Deine Seele auf Leben upgedatet. Der System-Administrator ist es jedenfalls nicht, auch nicht sein Arzt oder Guru. Irgendetwas, von dem wir uns kein Bild und kein Weltbild malen können. 

Ja: gerne wüßte man, wo nur der Glaube oder Nichtglaube bleibt. Möglich ist Aufmerksamkeit.

*

Liebe ist kein verlogenes Versprechen, nur ist leicht stolpern in der Einsamkeit. 

A etwa. Er sucht wohl eine Begleitung durch die kalte Nacht Leben. Etwas davon spüren wir alle, wenn auch nicht so schmerzhaft wie er.

Oder B. Sie braucht eine Stimme, ein Lied im Schweigen. Tanzend gegen die sich schließenden Wände. Wer hielte ein Haus aus?

Oder C: Sie möchte das Wort von Dir aufgefangen hören, und zurückgespielt fühlen. Was wäre ein Garten ohne  Vögel?

Ein Teil der Liebe muß Ich heißen. Vom anderen singen die Ruhmsüchtigen.

*

Klaus Wachowski 30.08.09

Aschenputtel und das Glück 2009

Also, wenn ich da Bestzeit...

Märchen sind auch nicht besser als Barbie-Soaps.

An einem Hoftor hängt ein steinernes Gesicht, umrahmt von grünen, beschatteten Blättern. In früheren Zeiten hätte man ein bedeutend daher kommendes Bild davon gemalt und Worte wie Ewigkeit, Mythos und Größe in aufnahmewillige Köpfe gespült.
Es fehlt an einem Kind, darüber zu träumen. Und stünde es davor: Du würdest ihm die Welt erklären, -wie auch ich nicht anders tat. Man kann die armen Kleinen ja nicht der betrügerischen Welt überlassen, ohne ihren Verstand zu schärfen und -ihre Phantasie platt zu treten...

Einem reichen Manne, dem wurde die Frau krank. Die Ärmste verschied und das Kind weinte und blieb fromm und gut, wie es die Brüder Grimm liebten. Schon wieder sprang da eine Stiefmutter in den Reichtum und letzte sich und ihre bösen Töchter. Ätzend. 

Was sagt der König Kunde dazu? Nicht jeder hat ein Betriebswirt-Diplom. Der Gott der Brüder Grimm aber belohnte das arme reiche Kind mit Schönheit und bestrafte die Dummfaulen mit Häßlichkeit. Aber wer, der nicht Prinz oder ein Bohlen ist, konnte das unterscheiden? Das Mascara war wischfest und die Hysterie lächelte in schiefer Süße. Ja: schön und weiß waren sie von Angesicht, aber garstig und schwarz von Herzen. Ich sag nur: Party, party.

Was denkt da das Kind? 

"Wie schön, ein Märchen!" Es weiß aber, daß Böse oft auch häßlich sind. Und wie viele Schönheiten gibt es doch, die auch gut im Herzen sind, beten, sich verschleiern oder Ökoprodukte kaufen. Im Märchen ist alles klarer. Das macht doch seine Schönheit und gute Moral aus. Da rumst es im Orchestergraben der Gefühle und die Sängerinnen brüllen von Wagnerglück.- Weich wird der Gesang wie naßrasierte Oberschenkel. Komm, zieh die Vorhänge vor die Windschutzscheibe.

Wer mag es ersinnen, was sie ihr für Herzeleid antaten? Die schönen Kleider wegnehmen: - "schau, Germanys next Top-Model", spotteten sie und machten Handy-Fotos, wenn sie ihr die fetten Sahnestücke ins Adipositas steckten. Zum Joggen fuhren sie allein, klauten ihren mp3-player, schnappten jedes Sonderangebot, ohne die Prospekte weiterzugeben. Sie soffen und rauchten, dass es dem Hausfreund graute. Aber er traute sich nicht, etwas zu sagen, hatte er doch schon verbotener Weise mit ihnen geäugelt. 

Kurzum: sie war ein rechtes Aschenputtel auf jeder Conichi. Wer wollte mit so einer schon auf eine event-location. Selbst die krassen Mitschüler, die armen Würstchen die Hosen herunterzogen, Kippen auf Weichteilen ausdrückten und jede Gemeinheit ins Netz stellten, wollten sich mit ihr nicht abgeben. Tja: die lieben Kleinen von Bullerbü, die dem armen Schuster das Leben zur Hölle machten. Familiensinn nennt man so etwas bei der Camorra.

Das hätte also mal -ruckedigu- so recht ein Start ins Kriminelle sein können, zum Beispiel Hiphop und Amok oder wie hieß dieser koksende und singende Selbstmörder nochmal, aus dem die pubertierenden Girls ihren Jesus machen?

"Töpfchen, Töpfchen schüttel Dich", so seufzte sie oft unter den Brieftauben, die muntere Grüße der Mutter aus Kasachstan brachten, "wirf Gold und Silber über mich!" Niemand wollte ihr das Märchen vom Wunderbaum glauben, als die Steuererklärung fällig war. Sie war so weit, Amok zu laufen. Wo kämen die Märchen hin, wenn RTL bestimmen könnte!

Also: Gold und Silber ins Kröpfchen, her mit der Axt, um die Handys kurz und klein zu schlagen, damit die Mutter nicht noch auf die Idee kommt, Töchterchen einem Ölprinzen zu versprechen. Blutige Schuh im Schlußverkauf.

Wie schafft es das Aschenputtel nur, den neidischen Augen zu entwischen und mit dem von Deutschland gesuchten Superstar cubanische Zwischenknie-Tänze zu tanzen? Das Königshaus war geschockt. Aber als sie zurück kamen lag Aschenputtel mit ihren Noname-Klamotten in den Chips und im TV liefen elend lange Talk-Shows.
 
*

Mal ehrlich: Das stimmt so ja alles gar nicht. Die beiden Schwestern waren  doch ganz okay, so fromm und gut, so arbeitsam und unverdrossen, als je zwei Kinder auf der Welt gewesen sind: Schneeweißchen war nur stiller und sanfter als Rosenrot, die linke Zecke. Sie wollten sich nicht verlassen, so lange sie lebten nicht. Und was setzte die arme böse Witwe und Stiefmutter hinzu? "Was das Eine hat, solls mit dem Anderen teilen." Doch auch nicht ganz so schlecht, das Godesberger Programm.
Denk einmal: Als sie einmal im Walde übernachtet hatten und das Morgenrot sie aufweckte, da sahen sie ein schönes Kind in einem weißen, glänzenden Kleidchen der Brüder Grimm neben ihrem Lager sitzen. Es stand auf und blickte sie ganz freundlich an und ging in den Wald hinein. Die Mutter aber sagte ihnen, das müßte das Englein Aschenputtel gewesen sein, das gute Kinder bewache und Hexen in den Backofen stoße.

Oder: hielten sie nicht das Hüttchen der Mutter so reinlich, dass es richtig geil war, hinein zu schauen? Im Winter zündete der Liebling der Märchendesigner, Schneeweißchen, das Feuer an und hing den Kessel an den Feuerhaken, und der Kessel war von Messing, glänzte aber wie Gold, so rein war er gescheuert. Da konnte Aschenputtel doch auch mal ein paar Linsen aufsetzen!

Wenn das Lämmchen blökt, steht der Bär vor der Tür und will Schneeweißchen zu Hochzeit holen. Soll sich die Mutter da etwa nicht freuen und die pariser Pumps über die Bauernfüße quetschen? Was heißt da Ruckedigu? Blut im Schuh kann jeder sagen, ders faustdick hinter den Ohren hat. "Schneeweißchen und Rosenrot, schlägst Dir den Freier tot", tobt da der Bär beim Bonding. Rosenrot aber kriegt den Bruder und ein Nußtörtchen dazu.
Was will der Zwerg dabei, Sack und Bart!? Morgen bringt er Aschenputtel der Königin ihr Kind. Unverschämtheiten ruft er: da, die beiden gottlosen Mädchen packt, das sind für Euch zarte Bissen, fett wie junge Wachteln. Der Bär gab dem gott- und erfolglosen, boshaften Geschöpf einen einzigen Schlag mit der Tatze, und es regte sich nicht mehr. Weinbruder oder Loser: So muß man mit abwesenden Vätern umspringen! 

Nun kann man die Schätze teilen, die der Zwerg zusammen getragen hat. Nur das Aschenputtel, bulämisch oder adipös bis auf die Knochen, will alles für sich allein...

*

Schneewittchen gibt ihrem Prinzen einen giftigen Apfel zu essen, weil sie endlich herausgefunden hat, wer ihren Zwerg getötet und den goldenen Ball in den Brunnen hat fallen lassen. 

Wenn nun schließlich alles sich zum Besten gewandelt hat, kommt die Langeweile. Sie schlägt die Decke zurück und kuschelt sich an Dich. Süß flüstert sie Dir ins Ohr: "laß uns den alten Knacker die Treppen hinunter stoßen. Das merkt keiner." Du bist reich, Königin und Super-Model, die Reitbeteiligung ist unkündbar und der Spiegel sagt, dass Du die schönste Barbie im ganzen Land bist. So trittst Du vor die Ewigkeit, in die der olle Kaiser Wilhelm seinen Bart hängen läßt, als sei sie von deutschen Reichen oder kunstseidenen Märchen der Bravheit zu beeindrucken.

*

Wunder der Natur, dass Kinder sich von so groben Farb- und Moralklopsen, Schwarz-Weiß-Fernsehen der Spannungsproduktion, in Welten der Phantasie entführen lassen. Und die Erinnerung im Verein mit der Sehnsucht nach einer Welt des Friedens und der Freiheit und nach - Liebe - macht aus der Bilderpampe wirkliche Märchen, über die ein japanischer Weiser und Narr ins Grübeln und Nichtwissen sinken kann. Und nur deshalb sind die Märchen der Brüder Grimm und Co, die Stories von Barbie und den drei Fragezeichen, Perry Rhodan und dem Doktor vom Immenhof so gerechtfertigt wie eine Skizze von Jean Paul oder eine Fantasie von Anne Sexton. 

Alzey, den 23.08.09 Klaus Wachowski

Happy Jack aus 2009

Happy Jack

Wenn Du zwanzig Jahre Familie warst, willst Du auch mal Ich sein. Hans hatte sein Abi, ja sein Studium in der Tasche und sprang hinaus in die Welt.

Ein Stück seiner Freiheit schnitt er für die Firma ab. Da gabs Geld, Wohnung und Auto. Wie froh unser Hans da war: jetzt konnte für sich wohnen und hinfahren, was das Herz begehrt.

Aber was für ein Glück, als er von seiner Grete genommen wurde! Jetzt sagte er zur Freiheit "Autonomie", konnte er doch ein Haus bauen, viel mehr zusammen erleben und der bösen Einsamkeit entwischen. Und wie frei er war von der Welt und ihren Erwartungen!-

Was dann? 

Da gab es Kinder. Das war ein Fest: endlich konnte er all seine Gedanken weiter geben. Was war dagegen das Bißchen Freiheit, das er dafür tauschte. Er bekam ja so viel Glück dafür.

Zogen die Kinder aus, ach da streckte er die Beine unter die blitzende Harley Davidson und freute sich wie ein Schweinehirt auf Martini. Jetzt konnte er alles Geld mit seiner Grete verprassen. Sie kauften dicke Autos und machten die teuersten Diäten. Und wenn er morgens mit schwerem Kopf beim Alka-Seltzer saß, da freute er sich so laut, dass die Lehrer an den Nebentischen vor Neid ihre Kleinkinder anzischten.

Wer aber kann sich die Freude vorstellen, als er endlich, endlich in Pension gehen konnte. Es zwickte zwar hier und da, die Beta-Blocker machten flau und Grete zog zu Urmutter-Seminaren. Aber die Welt war weit und die verbotenen Äpfelchen lockten.
Wie gut er doch sein Geld angelegt und die Häuser vermietet hatte! Die Scheidung erledigte ein Tennisfreund für fast geschenkt. Er konnte seine Pflegerin aus jedem Land östlich der Neiße kaufen.

Wenn Du seinen Grabstein finden willst, mußt Du lange suchen. Die Erben haben seine Asche nach seinem Willen verstreut. Und jetzt sag mir: Wer hat mehr Glück aus seiner Freiheit gemacht?

16.08.09 Klaus Wachowski 


Es wird dunkel. -Ein Jazz Hänsel und Gretel aus 2009

Die musikalische Untermalung trug ebenso zu unserer Unterhaltung bei wie die vielen popkulturellen Anspielungen.

Die Welt befestigt eine Fahne auf ihrem Dach aus Zucker und Lebkuchen: "Imbiss zum Würstchen", ruft sie. Hier trifft sich alles, was Rang und Namen verloren hat, um wenigstens den Bauch zu beruhigen. "He, Wirt, noch n Schlag Senf auf die Niederlage!" 

Hänsel, das Mathe-Genie, und Germanies next Top-Model, Gretel, nehmen Stock und Hut mit hinaus in die Welt. Der Ruhm versteckt sich hinter dem  Selbstmord einer Mutter und fletscht bereits  die Zähne. Gretel wirft die Burkha von sich. Gelbe Säcke und obdachlose Väter liegen am Wegrand.

Die Steine, die wohl die Kinder fallen ließen, glänzen. Von oben antworten die Sterne. Hierhin hat sich Gott verirrt, um unter die Menschen zu fallen und gekreuzigt zu werden. In den Nadelbäumen singt der Wind vom ewigen Leben. Ein Tier bricht durch das Unterholz. Es stimmt, was die Märchenerzähler schreiben: Borsten, Hufe, Zähne, schon schwarz. Nach allen Seiten flieht das Kleingetier.

Ich horche, ob da noch die Stimmen  sind. Aber nur das Schlagen einer Axt ist zu hören. Dann sammle ich die Steine auf, werfe sie hoch zu den Sternen. Sie sollen nicht in das Haus des Terrors zurückfinden, in das schwarze Herz des Matriarchats. 

Die Urstiefmutter lutscht in Erwartung eines Liebesmahls am Hühnerknochen. Und ihre Schwester wirft ein Netz von guten Noten aus nach frisch gepflückten, naturblöden Söhnen und Töchtern. Waren es die wütenden Väter oder nicht doch eher die ins Kind verliebten Mütter, die das Feuer im Herz des Brandbeschleunigers entfachten? Sieh die kriminelle Lava in Jamaika! Männer ermordet von Muttersöhnen.- 

Mit der Geburt des Kindes wirst Du Vater, das ist: der Ausgestoßene. Aber was kann eine Stiefmutter tun, um Mutter zu sein? 

Der Trödler vom japanischen Flohmarkt wirft sein Herz vom Dach des Hotels Einsamkeit. Der Schatten, aus dem er hervortritt, quillt aus einem Müllkübel: Spiritualität, Bewusstsein, Wellness. Ein schwülstiger Hiphop von der falschen Uhrzeit auf der Heimfahrt in der U-Bahn. Da lernst Du die Angst, die Glauben macht. 

"Wir werden den Weg schon finden.", hofften sie, während ein Ausflug Aggressionsbesoffener die Fenster des Zuges zerkratzte.

Aber sie fanden den Weg nicht. Sie gingen die ganze Nacht und noch einen Tag von Morgen bis Abend, aber sie kamen aus dem Wald nicht heraus, verirrten sich, wie ein Maschinenring auf Kreuzfahrt, in önologischen Katakomben. Und weil sie so müde waren, dass die Beine sie nicht mehr tragen wollten, so legten sie sich unter einen Baum und schliefen ein. 

Als es Mittag war, sahen sie ein schönes, schneeweißes Vögelein auf einem Ast sitzen, das sang so schön, dass sie stehen blieben und ihm zuhörten. 

Uns ruft das Käuzchen eine blaue Pille in den zunehmenden Blutdruck. Und die Katze Richard fragt: Was ist das: „Gott vom ersten Wort?“

"Wer ist da?": Einen Vers werfen die Kinder nach dem süßen Schmerz einer lodernden Lust aus, die nach Knusperkindern lechzt. 
"Der Wind, der Wind, das himmlische Kind." Er facht das Feuer erst an. 

Die Alte hat sich nur freundlich angestellt, sie ist aber eine böse Hexe, die jungen Säufern, Partybomben und Schlägern auflauert, um sie zu vernaschen. Geil! Da ist das Hänsel zu schwach, hat nicht Bizeps noch Waschbrettbauch. Außerdem spricht er im Dialekt, was beim Sex, im Gegensatz zur Literatur, echt nicht geht. Und das Gretel weiß nicht, wie es mit dem Euro Putzgeld all die Steaks und Amphetamine zum Body-Styling besorgen soll.

Nun ward dem armen Hänsel das beste Essen gekocht, die Alte knackte die Shrimps, aber Gretel bekam nichts als Krebsschalen. Vom Dach der Welt leuchtet es Trost: "Imbiss zum Würstchen".

Spar nur dein Geplärre, sagte die Alte, es hilft dir alles nichts. Gretel fühlte sich gehänselt und reagierte brutal.

Hu! Da fing die Seniorin an zu heulen, ganz grauselich; aber Gretel lief fort, und die  gottlose Hexe musste elendiglich verbrennen. So hilft sich ein angehender Lifestyle-Coiffeur. 

Grausamkeit gegen Verbrechen. Da schauderts dem Kind. Ob die brave Gretel immer nur Hexen ins Feuer stoßen wird? Aber auch Gefallen an Grausamkeit kann ein Kind finden. Von Gretel lernen: dass es nur der passenden Begründung bedarf, Orgien der Mordlust zu feiern. 

Da sprang Hänsel heraus wie ein Vogel aus dem Käfig, wenn ihm die Tür aufgemacht wird. Wie haben sie sich gefreut, sind sich um den Hals gefallen, sind herumgesprungen und haben sich geküsst.

Hier fährt auch kein Schiffchen, sagte Gretel, aber da schwimmt eine weiße Ente. Wenn ich sie bitte, so hilft sie uns hinüber. Vögel lieben es, in Märchen Glück zu spielen. Nur manchmal streift der Schatten eines riesigen Flügels unsere Hoffnungen und wir hören den Schrei des Raben. 

Da hatten alle Sorgen ein Ende, und sie lebten in lauter Freude zusammen in einer Villa in Südafrika. Die Zikaden beugten sich unter der Lust und rieben schmerzhaft Knie an Knie, um zu zirpen, nur dass der jeweilige Hans zu seiner Grete kommt. Die Menschen aber lecken einander die Lippen, wenn sich ein Märchen auszieht, das Fürchten zu lehren.

Klaus Wachowski 10.08.2009