Dienstag, 7. Mai 2019

Vor 2000


Landschaft in buntem Glas - Reste aus 92 bis 99

Die Natur ist grau, saftig von Regen. Voll Wind..
Grau-bleich-braun-schwarze, abgeknickte Grashalme in gekreuzt liegenden Bündeln. Feucht die Erde und dunkel. Zwischen den Halmen, im Grau kaum zu erkennen der Kopf eines kleinen Singvogels.
Ein mundgeblasener Glasvogel, in den eine blau gefärbte Feder eingeschlossen ist.
Dunkelndes Blau in Himmel und Meer oder in der Kittelschürze deiner Großmutter.
Oder du siehst die Feder vom Leib des getöteten Vogels, die Gebeugten, die die Vögel rupfen müssen.
Im blauen Sauerstoff atmen oder vom Verwesungsgeruch aus dem Container, in den jene geworfen wurden.
Spürst du das Brennen in den Lungen der Glasbläserinnen und das in ihrem Herzen?
Sehnen sich deine Lippen nach den ihren?
Werden deine Augen im gebrochenen Blick des Vogels dunkel?
Schmeißfliegen auf Hundehaufen 
Friede. Ich beobachte, wie sich die Ewigkeit aus einem Darm bedient, grün glitzerndes Leben.
Der erhabene X, der gerade in dieses Glück hineintappt. Ich verwandle ihn in eine Schmeißfliege.
Die Sonne sticht. Wer schaffen muss, hockt in dunklen Räumen. Einatmend Kräuter und Lavendel spüre ich tiefer den Himmel. 

Die Fliegen sind weg. Ein Häufchen Elend wartet auf den Schuh, es in die Welt zu tragen. 7/94 
Green Trees aus dem Café gesehen. 6/94
Flamenco auf Stereo.Le-lo-lai und ein Opel von 85. Wo geht Django?
Wolken hängen sich unter die Sonne. Ein Blick aus dem Küchenfenster in die Büsche überm Zaun. Ein roter Vogelmund aus dem Blau ruft, ich solle kommen. Aber welche Einsamkeit, wenn Ich gehe!- Wo ist der Freund, mit zu erkunden, wo das Leichte am Weg steht und das Dunkle zum Ruhen lockt? 

Love Becher für 2.
Ein Bull-Bomber in rot und blau. Das will ich mit dir runterdrücken, lecken, dass sich die Geschmacksknospen stellen, schwellen über das, was die Steinbeißer uns wegfressen wollen.
Verkehrsberuhigung
Busch, Einfahrt, Stellplatz, Haus. Busch, Haus, Stellplatz, Einfahrt. Mit 30 km/h durchs Neubaugebiet. Reggae im Kopf. Eine elende Rechnungsprüfer-Existenz. Schöner neuer Verputz. Praktische Gestaltung des Sommergartens. Romantisches Erkerchen.
Was wird hier ausgebrütet? Ein gegenseitiges Arbeiten, die Freizeit hinter sich bringen. Ob Beton oder Marmorstein: die Träume kriegen sie schon klein. Und bald steht ein Haus drauf, der erste Sarg um deinen alt werdenden Körper. Also joggen und Body builden.
Fertig. Dein letztes Abenteuer war vor 30 Jahren der Gang zur Eisdiele. 6/94
Begegnung
Wo unter Zweig und Blättern blauer Himmel schien und Wind mit der Sonne sprach, kriecht aus den Achseln der Bäume dein Hass. Sprungbereit krallt sich die Pranke in schmerzende Rinde. 
Darf ich der freundlichen Erinnerung glauben? Zu sehr ist der Leib geschunden. Zu laut ruft es aus meinem Blut. Ich durfte nicht vertrauen. Aber jetzt bin ich. 
95er Amselfelder
Hej, du, kleine Amsel. Wieder froh? Warst nicht du es, die schon im letzten Jahr hier aus den Bäumen gezwitschert hat.? Und du da oben in deiner Maschine: ist es dieses oder war es nicht auch letztes Jahr um diese Uhrzeit, als du in diese Gasse sehen konntest? Ich höre das Wasser unter der Straße, ich höre das Gas im Kasten der Versorgungsfirma zischen. Aber vor einem Jahr, da war ich noch in der dunklen Röhre des Mobbing. Die drei Affen hielten mich noch unter Hypnose. Jetzt höre und sehe ich. Ich rede wenn ich kann. Wenn es nur so weiter blüht. 

Das erste gar nicht so praktisch blickende Hirtentäschel-Kraut kommt heraus. Schon blühend. Morgen ist es gefressen und fünfzig neue sprießen hervor. Der Frühling kommt nicht. Er ist schon da. Schamlos spreizen sich die Birkenkätzchen.
Ich habe mich verändert. 1995
Die Luft geht in mich hinein und verwandelt sich in Atem. Mit meinem Bruder Baum strecke ich mich aus in Wind und Regen. Es fließt in mir und aus mir heraus strömt ein Gesang. Die Erde: ich spüre froh ihren Druck gegen meine Füße. Ich atme. Atme.
Boss 1993
Mann, komm ich ins Büro,  
Da sag ich Scheiße, Scheiße...
Die Stechuhr singt das Deutschlandlied   
Kollege hackt den Nazi-Beat
Ich aber sing dem Arsch zum Gruß  
Den Blues.  

Big Daddy schiebt die Roma ab,
den kenn ich doch von Dachau. 
Den Kopf im All
von Hundekot 
macht der am Schreibtisch Menschen tot.  

Hej Plastic - Lady nimm Dein Herz,
tauch es in den Kaffee  
Computerjo grapscht nach der Brust 
Dich packt die Wut   wie gut das tut
den Joy- stick tritt mit Lust. 

Oh, Boss du hast es voll im Griff 
und ziehst uns durch die Scheiße; 
Krawatte ringelt sich im Sekt, 
den Scheck ins Beutelchen gesteckt,
Ich aber sing Dir Arsch zum Gruß
den Blues
Abend 1994
Baum blau aus dem Raum  
träum mit mir den Regentraum 
Wind biegt sanft die Äste 
Frucht schau rot heraus 
Zwitschern aus dem Vogelhaus 
Wolken hoch in Abendwettern
Pfützen spiegeln warmes Licht 
Lächeln steht im Angesicht 
Tier steigt aus den Blättern 
1995 
Eine Abschiebung
Die Revision wird abgewiesen  

Knüppel schlägt Auf Wiedersehn
Nichts zu schreien: gern geschehen 
komm nur Schwarzer, schau herein, 
gleich wirst du gefesselt sein. 
Was ist eines Menschen würdig, 
der Dr. kommt, schon bist du fertig.
Eingewickelt, abgespritzt, 
schreie nur, der Knebel sitzt. 
Du willst nur leben?
Ja, das sagen alle. 
Pardon wird nicht gegeben. 
Mensch sitzt in der Falle  1995
Es tropft
Vom Dach des miesen Advokaten,
schmierig, schmierig
- grau das Pflaster,
die Fußgänger shivern vor Kälte-
fällt ein Tropfen aus der Ewigkeit
der Nichtbeachtung
in die des Vergessens.
Ein Augenblick in der Glasscherbe
meiner Aufmerksamkeit.
Sie ist schon zerbrochen. 6. 98
Eine Himbeere,
nicht ein Topf voll, nicht ein Kilo: eine einzige Himbeere ist das, was mir am 22.6. den Sommer öffnet. Nichts daran ist mystisch. Überall ist der rote Punkt im Grünen kostbar.
Das Feeling ist in einem Brausebrocken versteckt. Es bizzelt hinterm Müllcontainer, wo die Schmuddelkinder Bulle und Bruce Lee spielen. In der Wasserpfütze eures veredelten Dorfbrunnens, solange die Dreijährigen noch hineinpinkeln, im immer sich wiederholenden Tratsch der Alten. 6.94 
Einbauspüle "Virgo"                     
*
Eine Beerdigung

Stille und Morgenlicht
Der Gesangsverein versetzt unseren Gefühle in Moll. Es gibt wirkliche Tränen. Schwarzer Vogel Pfarrer macht es kurz. Empfiehlt uns seinem Herrn. Wer nicht glaubt, wird fühlen.
Über den Bäumen, hoch oben, kreist ein Bussard. Es sprechen der Vorsitzende des Sportvereins, der Musik, der SPD-Ort, der SPD- Verband, Stellvertreter Landrat. Ein Riesentransporter mit Baumaterial zieht vorbei. Es beginnt in die Verdienste zu regnen. Der Sarg wird naß. Die Schirme klappen auf. Traurig.
Dank, vier Kränze und aufrichtige Selbstdarstellung. Die Familie wendet sich ab. Der Bussard kreist. Der Transporter fährt zur nächsten Baustelle.
Lady mit der Orangenhaut
Es ist nicht wahr, daß die Menschen heutzutage ununterscheidbar sind. Im Gegenteil: fast schmerzhaft die Ansammlung von Typen und Originalen. Du kannst nicht einfach nur spazierengehen und grüßen. Du mußt besonders angemessen grüßen: den Cowboy, die Sängerinnen des Jazz oder Gospel, Parfum Sabatini, den Pit-Bull und den Paten. Daneben die brutalisierten Patrouillen von uniformierter Mode. Aber es gibt auch die Inseln des Lichts vom Augenblick.
Lady mit der Orangenhaut aus der knappen, knappen Hose. Ich möchte dir zurufen: "Bravo!"-es ist deine Welt, du bist nicht ihrer Reklame. Wonach duftet deiner Haut? Ja, du bist ein menschliches Wesen. Aber, daß ich deinen Körper bemerke, ist keine Verletzung deiner Würde. Deine zu einem Nest von Feuer aufgetürmten Haare. Sie fangen unserer Phantasieen ein. Unfall auf gerader Strecke . Der Mercedes zerlegt sich in seine Einzelteile. Es war der Duft, den dein Bewegen in meiner Nase auslöste. Dunkle Wolken umschließen meine sich erhebende Lust.
Ein Plan, ein Auftrag, eine Arbeit unterbrechen die Umarmung des Gehirns durch den Leib. In Sonnenstrahlen badet die Orangenhaut. Aus unseren verlorenen Blicken saugst du die Energie für einen neuen Tag.
Im I -Max Kino
In einem See einer Inselgruppe des Pazifik findet sich eine seltsame Quallenart. Vor Jahrtausenden abgeschlossen, haben die Quallen als herrschende Tierart die Nesseln eingefahren und kultivieren unter ihren Hautkuppeln Gärten von Algen, die sie mit dem Lauf der Sonne durch den See fahren. Tiefer die rot leuchtende Sperrzone des Gifts der noch tiefer lebenden Bakterienart. Schweigender Zyklus, nicht weit entfernt von den Abgründen der Einsamkeit, in der Kometen ihre Bahnen schwimmen.
Muschelscherben auf der Fensterbank erinnern mich an das Rauschen des französischen Atlantik. Ein Seeigel weich und vorsichtig, saugt sich an ihren Schalen fest, bricht sie gegen die gewaltigen Kräfte der Angst einer Muschel auseinander, stülpt seinen Magen über sie, verdaut die aus allen Schmerzen blutende genüsslich. Ein ungeheurer unhörbarer Schrei erschüttert die Welt - nicht!..
Ein Arbeitsplatz

Ruinen von Machtmissbrauch. Einer flieht und fliegt vor jeder festen Bemerkung in alle Richtungen der Entschuldigungen. Vom entschuldigenden Angriff zur entschuldigenden Verteidigung. Eine Frau, zerbrochen, gehorcht. Es gibt das stillschweigende Abwesendsein und das verzweifelte Umklammern all dessen, was das Leben außerhalb von Arbeit lebenswert macht. 

Und endlich den mit gewaltiger Anstrengung erhaltenen Willen, sich nicht alles bieten zu lassen. Zwischen Aggression und Depression auf höchster Stufe der Irritabilität.
Jünger-Bonbon 

Kulturameise einer Besatzungsarmee. Genießer der Dorsche und der Bombardierung von Paris. Nicht anders als der Kolonial-Alkoholiker aus Paris in der neueren Zeit.
Mit den Mut zu sterben hundert Jahre alt werden, wo Kinder voll von Todesfurcht verhungern, vergast, in die Luft gejagt, gegen Baracken-Wände geknallt werden. Nichts gegen das biblische Alter eines registrierenden Lebens. Alles gegen seine Verehrung.
Was muss ich, der Atem spürt, mich mit einer Panzerplatten-Natur befassen? Diese Leere war es, der unserer Kindheit Weinen nach Liebe antwortete. Ich habe die Chance wahrgenommen, auszusteigen und das Leben, das sie mit ihren Heldenschmierereien verpatzen, zu erfahren. Es ist auf andere Weise schön. Das Erhabene schenke ich dem Hochhuth 1.2.95 
Maiveranstaltung 1.5.95 
So wenig Teilnehmer wie irgendwo in den USA. Wer von diesen würde gegen die Diktatur oder den Fanatismus beistehen? 

Ein Roboter klagt Arbeitgeber an, sie setzten Maschinen ein an Stelle von Menschen. 
Abends im TV ein Interview mit einem modernen Betriebsexperimentator: die Arbeitslosigkeit wird auf 60 bis 70% in der allernächsten Zukunft steigen. 
Lösung:
6 Monate Fabrik-Maloche, 
6 Monate Wunsch-Arbeit. 
Warum sechs Monate Fabrik?
Bauchatmung.
Nach einem zum Zerbrechen angespannten Gespräch und zwei Tagen nachwirkender Aufregung kehre ich aus den eingeschlämmten Ebenen meiner Kopfschmerzen zurück in die Höhle meines-ich weiß nicht wie ich es anders bezeichnen soll-Uterus. Es ist dort warm, feucht, atmend bewegt. Ich fühle mich in einer nährenden dunklen Flüssigkeit schweben und atmen.
Wolf zündete eine Zigarette an. Die Flamme des Gasfeuerzeugs schneidet durch meine Gedanken und ein Gewaltklotz tritt auf meine friedlich mäandernde Menschheits-Freundschaft.
Furcht, Gewalt und Haß haben jetzt das Leben zu ihrem Baseball erklärt, und im Niemandsland des öffentlichen Raums machen sie unter den Augen einer teils gleichgültigen, teils glotzenden, teils gelenkten Macht Jagd auf die wenigen frei oder sensibel blickenden Gesichter. Die Straßen sind offen, die Parks breiten sich friedlich vor dem träumenden Besucher aus. Du kommst nur durch die Kotz-, Brüll-und Prügelgasse der neuen Freiheit hinein.
Und dann ruft es hinter dir: " Er macht nichts. Bleiben Sie nur ruhig stehen. " 6/98
Flug der Wappenteller
-Plunz-
Ich sage:... "Wie der da mit Menschen umgeht!" Du sagst: "Ah, er ist eigentlich okay. Man muss ihn nur zu nehmen wissen." Also sagst du: „ Der König ist nicht schlecht, wenn sich die Knechte richtig verhalten.“
Da hast du mich ertappt, der auch den besten König für eine zu bekämpfende Einrichtung hält. Der dem Menschen im König zuruft: befreie Dich. Wie kannst du Menschen sehen, wenn dir ein König strahlt? 

Ich bin so blind, in einem König den Menschen zu sehen und rede ihn an als Menschen. Er ist beleidigt und Du gibst ihm Recht.
Alter Stein 

Ein alter Stein kann rollen and tumblen. Aber ein fertig gemachter Alter soll das Maul halten und Weisheit von sich geben. Wie sieht seine Welt aus? 

Einer ist aus einer fertigen Jugend in den fertigen Rangierbahnhof geschleppt worden. Einen haben Fertiggemachte fertig gemacht und mitgebracht. Einen hat die Familie erledigt und einer hat sich hinausgeprügelt, hinaus gesoffen und -geschafft. Der Chirurg macht seinem letzten Versuch an ihm.
Diese Brocken rocken und rollen nicht mehr. Die Rottweiler scheißen drauf und eine neue knackige Jugend von prallem Willen voll macht mit ihnen Kugelstoßen und ihre ersten freien Zertrümmerungs-Versuche: Zisch ab, alter Sack.        1998

Aus 1988

Zu Nietzsche,

Dem Ich-Ich der Lebenslust

In diesem Augenblick erfahre ich alles Glück, in jenem allen Jammer des Lebens. Es gibt keine Summierung nur Wiederholung solcher Erfahrung. Was sich dazwischen ausdehnt ist Nichts.

Und eben weil Glück und Leid nicht addierbar oder subtrahierbar sind, gibt es keinen Grund, einem keimenden Leben den Eintritt in die Wirklichkeit zu versperren. 

Wer ihm allerdings das Leiden eines Atomschlag ersparen will, erspart seinem Kind auch alles Glück vom ersten Lächeln auf dem Leib der Mutter bis zum letzten Sonnenuntergang.

Montag, 6. Mai 2019

Aus 2001

Images,
(Nb. 2019: Wer dachte an hinterlüftete Fassaden?)

Die Geste des Triumphs, wertvoller als der Triumph. Die Geste der Verzweiflung: erhaben. Du winkst mir von fern bedeutend und deine Braue wölbt sich über einer Eiszeit-Höhle.

Wir begegnen uns in durchdesigneten Glaspalästen sehr geehrter Damen und Herren. Sie geleiten uns in authentischer Freundlichkeit in eine Geisterbahn der Gesten.

Strassen der Macht

Auch die Republik ist stets gefährdet: Mehr Freiheit will nicht nur der Bürger, auch die Willkür der Clique, mehr Ordnung will nicht nur der besorgte Bürger, auch der Lynchmob. Alle, die den Austausch von Meinungen in Räten und Parlamenten für Gequatsche halten.

Ich habe einen Tagtraum:

Ich bin wieder auf den Strassen der Macht. Die Anmaßung kommt mir entgegen. Mit Gefolge. Catilina, die Ratte und der Feigling Cäsar. Ich beiße mir auf die Lippen und gehe zur Seite.

Am Abend treffe ich Dich mit Deiner Freiheit.

Und wir gehen den Weg, der uns gehört und allen. Und wenn die Clique kommt, stehen wir fest. Wir spüren, wie mit der Zustimmung der Ungefragten das Recht wächst und die Freiheit. Der Spuk vergeht.

Dem Tag folgt die Nacht.
Aber der Nacht folgt der Tag  .            .

Hellblauer Himmel,

ein Strauch bietet Cluster von roten Beeren, eingetaucht in Licht. Die Kälte zwickt an den Ohren: Hallo, Klaus! Ich, die Welt, bin auch noch da!

Ein Kopf voll sperriger Projekte, ein Bauch voll Musik, gehe ich weiter und weiter , fern von mir, mich beobachtend.

Ist es nicht schön, Ihr Dichterinnen und Dichter, die Welt in Worte zu gießen, Essenzen von blau, rot und Licht, Ihr Philosophinnen und Philosophen, die Nebel des Ungewissen in kühlem Urteil aufzulösen.

Es ist auch schön, das Gewicht des Körpers in den Füssen zu spüren, Dich selbst in der Berührung und im Widerstand einer körperlichen Arbeit.

Und das Fließen, Ein- und Ausatmen von Denken und Wollen im Gespräch.

So gehen wir und kommen. Kommen und gehen...

Frühjahrsdepression

Vor mir der Tage graue Strasse.
Der Himmel nasse Hoffnungslosigkeit.
Des Gestern aufgetürmte Masse,
leer geht das Heute in die Zeit.

Was ich erhoffte von der Morgensonne
Und wärmer trug im Abendlicht,
dass Freude unter Menschen wohne,
ich seh es nicht.

Christof,

ich sehe deine Kupferschmied-Ungetüme aus „unserer“ Zeit. Du lebtest dein, ich mein Leben. Der Wirt dieses Hauses kaufte und half dir zu einer schmalen Strecke Selbstbewußtsein. Schon lange bist du tot. Aber deine Kupfer-Reklame,- hast du vor Stolz vibriert oder verächtlich gelacht (wie gleichgültig es heute ist!)?- ,sie erwärmt meine Erinnerungen. Ich bin nicht mehr helfen wollender Partisan, nur ängstlicher Veteran mit zu großer Klappe. Dich hat eine große Sehnsucht an Heilung gehindert. Die Erinnerung an dich und andere wird mir die Sehnsucht warm halten. Das wäre doch was: wenn Du an meiner Stelle hier säßest und mit großer, großer Klappe für eine bessere Welt Kupferschmied und Genie-Reklame machen würdest.-

Körperformung durch Wickeltechnik

Die AZ vom 5.5.01 schreibt: „Der Morgennebel legt sich auf die Schafhäuser Felder und die Masten stehen stramm Spalier. Im Zwielicht scheint es, als fließe Strom direkt aus dem Himmel, um Rheinhessen mit Energie zu versorgen...Treibt eine Diebesbande aus Osteuropa wieder ihr Unwesen in der Alzeyer Region? Die Polizei vermutet, dass eine nächtliche Einbruchserie auf das Konto einer solchen Gruppierung geht.“

Jetzt ist es wieder gut gefüllt.
Autofahrer, dagegen, „stehen fassungslos an den Zapfsäulen“. Sprit 2,20 DM.

1.Mai 2001

Die Dichterin Hella Bausch und der Arbeitslosenvereinsarbeiter Toni Kopf, beide ein Leben der tapferen Solidarität am unteren Rand der Einkommensgesellschaft führend, hören am ersten Mai erstmals das Polizeiorchester spielen. Bisher war der katholische Posaunenchor Tradition, der-Gott sei Dank?- auch nicht die Internationale spielte. Aber in diesem Jahr gibt es selbst die „Brüder zur Sonne zur Freiheit“ nicht mehr. Ich würde auch nicht mitsingen, denn verdi ist mir zu sehr Konzern, als dass ich neben Macht auch noch Solidarität hören könnte. Gehobene Klassik am Sektstand. Die Anstecknadeln haben in diesem Jahr etwas Glattes von Profi und Routine.

Das Verhältnis Volk zu Funktionären ist auf diesem Platz bei diesem herrlichen Wetterchen nun gänzlich zu Gunsten letzterer umgeschlagen, weil man wohl doch glaubt, dass überall die gleichen Betriebswirte bestimmen. Da hilft es nicht, dass die Worte etwas schärfer sind als in den Jahren der indirekten Rede. Etwas mehr starker Staat zur Regulierung und etwas mehr Solidarität. Schimpfe gegen den Edelkanzler, ein einziges -erstes- Spontanflugblatt eines Arbeitslosen macht die von Staunen erregte Runde. (Das mit den Arbeitslosen klingt doch sehr nach Wirtschaftsbossen. Macht das das vierschrötige Kanzleramt? Wer hat schon wieder die roten Dessous verschlampt? Bleibt nur die -etwas große- deutsche Unterhose? Das sind Streifen nicht schwer zu begreifen, sind wir doch alle nur , ob über oder unter Menschen: Menschen.)

Da sind: Innenminister, Landrat, Bürgermeister, Verbandsbürgermeister. Der Bürgermeister und frühere Lehrer (wer darf froh sein?) versucht Beifall für einen einsamen Monolog  zu erhalten. Ohne Zweifel ein Sozialdemokrat. Aber Chef muß sein.

Der Wille zur Macht ist dem Röhrenblick eines panischen Philosophen zu verdanken. Auf ihn traf er zu, mit ihm wollte er den ihm minderwertigen Willen zum Leben des weisen Arthur Schopenhauer auf eine imposante Stufe stellen. So erfand er den Übermenschen, die Vorstufe zum Affen. Immer wird es  Monologe geben und dagegen die Autonomie von Gesprächen, Mikrophone und dagegen den frischen Wechsel von Rede und Gegenrede in den Gesprächen des einander Zuhörens.

Ich bin aber auch immer unzufrieden. Auch ich wäre mit mir zufriedener, wenn ich zufriedener wäre. Ich erwarte mehr und immer noch mehr Achtung vor dem Einzelnen. Das kommt heute eher aus der Kirche, die über den Gedanken von der göttlichen Autonomie der Gläubigen Menschenwürde und Solidarität gelernt hat und deshalb von Sekten und scharfen In-Pressure-groups angefeindet wird, mit dem Ziel, sie in eine Zwingburg des Fühlens zurückzuverwandeln. Alle Herzlosen treten an, aus dem Seufzen vom Kreuz her einen Exorzismus gegen die Autonomie des Menschen zu machen. Aus dem Glauben an die Liebe ziehen sie Hass. Kinder ohrfeigen, Muttertag, Todesstrafe und Erleuchtung durch einen Herrn, der dies immer ablehnte, denn er wollte Freund, das ist: Bruder, sein.

Er sagte Caritas, sie wollten Charisma. Weil er nicht Übermensch, nur Mensch sein wollte, mußte er ans Kreuz.-

Was wohl der Millionär denkt, der da so lustig um die Erde fliegt? In Zeiten einer stolzen Republik wäre statt eines Finanzmanns ein Politiker der erste Gesandte im schwarzen Vakuum gewesen. (Gar eine Sozialhilfeempfängerin ist - warum wohl?- nicht denkbar.) Der Millionär freut sich über den erfüllten Lebenstraum und eifrig lächeln die Minister der StaatsGmbH und Co KG. Die Konkurrenz schabt sich. Ein warmes Gefühl der steuerlichen Absetzung und der Public Relation muß sich hier und nun aber unausweichlich mit dem Spott von Kosmonauten bekannt machen. Abschätziges Grinsen hinterm Helm, übler Scherz in fremder Sprache, Lachen. Er hat doch hoffentlich schon bezahlt, nicht dass etwa Steuerfahndung den Count-Down auf Konkurs stellt.

Auch er war Kind, sah den Himmel über sich. Oft war der andere einer Nobelkarosse dazwischen. Auch hörte er die Gesänge der Frühlingsvögel. Oder war es das Juxen von Hausdamen? Er mußte nicht mit anhören, wie sich die Alten über zu wenig Geld zum Leben(=X) stritten. In fernen Weltenräumen stritten sie wohl über zu wenig Geld für Y. Wollte er dorthin oder nur weg? Hoch über den Menschen sein? Das will auch manche/r Arme/r. Dieser/m würde es allerdings genügen, dort anzukommen, wohin zu stürzen sich jener „Tito“ fürchtet.

Die Erde von fern sehn: nach einer Stunde wird es langweilig. Es ist ja keine japanische Mondanschauungs-Party mit feinsten Nervenerzitterungen, sondern Verlust von Erde unter deinen Füßen und von menschenerfüllter Welt um dich herum. Du öffnest die Augen. Aber hinter dem Fenster geht keine Sonne über einem Meer von Leben, Stimmen, Farben, Sehnsüchten, Leiden und vielen kleinen spitzen Freudenschreien und Seufzern auf. Nur ein ins Nichts gleißendes Licht als einziges eintöniges Wort, das nur sagt, nichts antwortet. Wie viel Vorstellungskraft brauchst du, um über die fliegende Gefängnishaut hinaus zu fühlen? Stell dir vor: die Bild und Tonübertragung fällt aus.-

Auch uns ist die Einsamkeit bekannt, auch in liebevollen Zeiten. Wir verlieren sie, aber alsbald steigt sie aus guten Nächten wieder auf, Wolken der Depression regnen über Nebenhöhlen aus. Wer kann sich in einen Millionär versetzen, dessen schrecklichste Vorstellungen gleichbleibendes Einkommen und Finanzamt sind, wer in eine Unterstützungs-Abhängige, deren größtes Glück das Erreichen unseres Not- oder Ärgerstandes wäre? Wir alle sind von -für manche leider, leider- gleicher Bedeutung, die vom Standpunkt der Weisen einmal winzig, einmal ungeheuer ist. Laßt doch Alle den Anblick der Welt von Sojus aus genießen und mich vom Café‘-Tisch aus.

Die Physiker lauschen. Hast du auch schon das Echo des Urknalls gehört? Es soll kein hohes Wimmern, eher ein Wummern sein. Eine Art Ommmmh.

Wenn man seine Kinder in eine anthroposophische Schule schickt, ich sag dir: Eurhythmie!... In drei Leben von Äther-, Astral- und Ich-Leib meditieren hilft nicht immer so schnell wie Aspirin. Aber es gibt so ein leuchtendes Gefühl von Seelenformung durch Wickeltechnik.

Ein Wunder, das Leben erleben zu dürfen! Und erst, sich mit einer kritischen Vernunft aus den klammen Schlafsäcken nächtlicher Räusche zu wickeln...

Wandlung

Das esoterische Kathreinerle dreht meinem lange aus den Augen verlorenen Freund die Luft ab. Er glaubt, die Stimme Gottes zu sein.

Er war etwas ideologisch, sonst aber konsequent Anarchist. Wie viele andere Freie ging er sogar einmal soweit, einem Hakenkreuzheuchler zu helfen.

Ich war ja ein Verräter, zum Staat zu gehen. Eines Nachts nach Kneipe beschwor er mich, der Sache treu zu bleiben.

Wenn später autoritäres Pressen und die Feigheit der Unterwürfigen das Leben zu einer Tretmühle machten, erinnerte ich mich gern an ihn und seine Treue.

Er zog in den Osten. Man fürchtete, ihm würde etwas zustoßen: ein Anarcho unter Nazis... War es das menschenleere Schweigen dieser Wüste, das ihn in die Esoterik trieb?

Wenn ich von der Stimme Gottes höre, sehe ich ein Herz ersticken. Vielleicht kommt es wirklich nicht auf die Vielen an. Aber die wenigen Gerechten...

Würde ich glauben, ich betete zu Gott, ihn von der Einsamkeit zu befreien, die ihm so göttlich erscheinen.

Aber: Was hatten wir schon miteinander zu tun?

Unter Herren und Knechten glaubten wir Menschen.

Frühe Erinnerungen

Wieder denke ich an die Menschen, die aus den Türmen des WTC sprangen. Unsere Lieben, Freundschaften, Nachbarschaften, unsere Welt sind unter den keuchenden Bewegungen und oft brutalen Schlägen des Lebens nur selten tragfähiger als ein Spinnweb von Moral. Unsere Gedanken, unser Gedenken können den Mittelpunkt eines zerrissenen Gewebes nicht ersetzen. Es wird ein anderes, im Gedenken festeres Netz. Es hält uns in unseren paar Tagen noch etwas weiter. Du bist nicht ins Nichts gefallen. Deine Angst, dein Schrei nach uns schwingt in den zerrissenen Fäden nach. Wenn wir dann einmal unter einem hoffentlich weniger gräßlichen aber ebenso unaufhaltsamen Schnitt des Lebens fallen: ist es nicht jetzt schon ein Trost, daß das Netz sich weiter und weiter knüpft durch alle Räume der Zeit? Irgendwann wird das All einmal zusammenfallen, um sich neu zu entfalten. Was von uns da ist, wird auch dort wieder sein. Anders. Auch dort wird Grauen sein, aber auch Wunder. Ist es nicht das größte davon, das Netz der Liebe, im Baum des Lebens?

Ich weiß es nicht, aber es ist eine schöne Vorstellung.

Absturz

Mit dem PC gehen einige Dateien unter. Warum überhaupt schreiben?

Warum überhaupt leben? Wie wenn die Blüten sagten: " warum überhaupt blühn? " Was bleibt als eine Erinnerung, die selbst bald Staub ist? Schopenhauer hat schon recht. Es ist nichts als Wille zum Leben, sich noch im hintersten Winkel einer erinnerten Ahnung weitergetragen zu phantasieren . Und die Rückseite Todesfurcht, wirklich nicht einmal in einer Erinnerung zu sein, die mich meine Gefühle ausrufen läßt, das Kind sich in eine Baumrinde schnitzen, die Alten sich Kinder wünschen, Häuser errichten läßt. Besser, nie geboren zu sein? Nein! Es kann einmal angebracht sein, sich in die Schmerzlosigkeit zu flüchten. Aber auch die Selbstmörder wissen: das Leben ist nicht, weil es schön ist, schön, sondern weil es Leben ist...

*

Am Feldrand warten die Raben. Richten wir uns auf den Winter ein. Auf kalter Tage und dunkler Nachmittage Freuden duftender Erinnerungen. Eine davon heißt Bangla Desh von George Harrison.

Neben mir wächst es jung

Ich verstehe nicht. Dieses Lachen zwischen Verlangen und Heimweh nach Geborgenheit. Ich verstehe es und möchte trösten. Aber es ist nicht mehr meines. Mein Leben hängt als Tropfen an einem zitternden Zweig. Je nachdem, von welcher Seite du kommst, siehst du die Welt darin, ein Licht oder die Nacht. Du bist noch als aufsteigendes Verlangen in den Dunst der Wolken unterwegs, vom Wind des Willens hierhin und dorthin getrieben, von der Schwere einer Vergangenheit oder eines blinden Schicksals heruntergeschlagen, schon auf dem Weg in die unterirdischen Flüsse oder erst noch glücklich in der zweiten Chance eines sich auflösenden Tautropfens. Ich bin gefüllt und spüre schon wie Gewicht an mir zieht. Dieses Aufstreben und Suchen ist mir fern geworden. Aber ich sammle noch Licht, Nacht und Welt in mir. Freue mich auf Morgen -, Abendrot, Mond und Sonne. Wenn nicht ein  Vogel an dem Zweig schüttelt, gehe ich vielleicht noch einmal den Weg zurück in die Wolken..  

Wolf

Manche, die nicht Wolf sein können, wollen wenigstens Ratte sein. Hauptsache Raubtier. Menschen wollen oft nicht Mensch sein. Ich und Du als Werte erkennen, das scheint mir einer der Unterschiede zur Tierwelt zu sein. Das Tier liebt oder haßt. Werterkennung, Achtung, Gleichheit, Gleichwertigkeit der Person kann ein Tier nicht erkennen.

Wieder einmal spüre ich die Sorge um ein Kind wie den Druck von Nebel auf Lungenflügel. Teer auf meinen Federn. Ich muß durch das Gestrüpp alltäglicher Anforderungen gehen, um die Sorgen abzustreifen. Da lauert die Katze Depression.

Das Sonett vom Loslassen

Wie sich die Athmosphäre schwer
unsichtbar schlingt um Land und Meer,
die Erde antwortet mit Beben,
Furcht und Schrecken dringt ins Leben.

Wie zähen Schlaf der Mond aufwühlt,
im kranken Herz das Fieber quillt,
Wie Macht sich in die Freiheit preßt,
der Freund den armen Freund verläßt.

Wie Liebende von Sehnsucht bluten,
Eifersucht in Höllengluten,
Wie Todesangst ins Leben treibt,
Wut sich in Kerkerwände schreibt.

So zuckt mein Herz im Meer des Lebens:
Sie gehn, ich rufe mich vergebens.-

Start

Hinter dieser von Leben quellenden, brüllenden Stadtkulisse schieben sich schweigend riesige Wolkenberge aneinander vorbei, breitet schweigend sich der Himmel aus. Ein warmer Wind berührt deine Haut.  In deiner Seele schlägt ruhig dein Herz. Du hast einen Streit hinter dir und das Gefühl, dass es noch weit ist bis zum nächsten. Einatmen.

Ausatmen. Deine Gedanken schütteln die Müdigkeit aus den Flügeln und steigen auf. Sie sehen weit über den Tag hinweg in einen Kindergarten oder auf ein Grab und kehren zurück.

Sonntag, 5. Mai 2019

Wir gehen durch Jahrtausende - aus 2001

Wir gehen durch tausend Jahre.

Wir trinken den Wein von tausend Jahren, als sei dieser Jahrgang ganz besonders besonders.
Wir streiten um die Vormacht von tausend Jahren, als wäre ein Sonnenstäubchen der Ewigkeit mehr als eine Ewigkeit.
Wir singen die Lieder von tausend Jahren wie die Ankündigung des ersten Frühlings und schreiben die Augenblicke von tausend Jahren wie Diamanten einzigartiger Seelen.
Wir lieben die Lieben von tausend Jahren wie ein Einziges.
Und tausend Jahre sind vor der Ewigkeit - nichts.

Aber was ist die Ewigkeit vor diesem einzigen grauen, glitzernden Jetzt?

Freitag, 3. Mai 2019

Aus 1998

Hooligans

Die von menschlichem Frieden befreiten Spielplätze und Parks dehnen sich aus. Die Stunden des Grauens verschlucken die Mondnächte und die Brutalität läuft in die Fußgängerzone ein, reißt immer größere Brocken aus dem sterbenden Gespräch.
Hier liegt eine glitzernde Scherbe Ewigkeit. Du träumst und blickst in das aufgerissen Maul eines Kriminellen. Ein Gesicht- und schon schieben sich drei feixende Glatzen davor. Ein Sonnenstrahl- und schon hörst du einen seinen Kumpel auf dich hetzen.
Jetzt betrachte ich die sich durch die Fußgängerzone laufende Barockbombel. Sie kauft sich etwas und denkt: an diesem Platz wär ein Galgenbaum nicht schlecht. Spaßwelt aus dem Festzelt. Ein Eis leckend, eine am Bikini streichelnde Hand und die Schreie der Todesangst an der Hinrichtungsstätte einer vor Angst starren Gesellschaft. Der Mann bevorzugt ein Weize-Hefen und Scheiterhaufen. Ein Pulk religiös Berauschter fischt nach Geld und jungem Fleisch, ein Neonazi aus zerfressener Gefühlswelt sprüht hasserfüllte Blicke auf lachende Kinder, triumphierende auf eine zerstörte Schönheit, einen erschöpften, zerschlagen Körper. Wo ist die Hoffnung?
*
Gildo Horn 11.5.
Der lockt die Mama hinterm Ofen vor.
So etwas habe ich schon öfter erlebt. Was beweist, daß ich alt bin. Ich kann inzwischen sogar zugeben, daß ich es zwar mit viel Energie zu fassen suche, aber ziemlich sicher nicht begreife.
Sieg des 1. FCK, Leichenglotzen in Mannheim, Mittelalter-Straßenfest, Ballermann 6 und jetzt die schwitzende Nußecke. Für mich ist das alles eine Pommes-Frites- Bude mit Mob-Option. Ich glaube nicht, daß es da-da-da ist. Viel zuviel Mutterherz dabei. Die Zone zwischen Schmerbauch und Fußschweiß. Nicht, daß ich edler wäre, aber ich finde öffentliches Bierfurzen mit Liebesdunst elend. Es raschelt wie Bild-Zeitung vor der ersten miesen Morgenzote. Fingern vor Fühlen, aus der Schadenfreude schnell hervorgrapschen.
Aber bei ihm piept doch nur die Liebe und er drückt dich an seiner Wabbel - Brust, wenn du den Mond auf deine eigene Weise anstaunst, und drückt dir einen Pommes- Schmatz auf die Augen. Sprichst du von Liebe, spürst du einen Körper? Er singt dazwischen, knuddelt dich krumm. Ist er nicht ein Festzelt? Er führt die Edeltypen, Modepuppies an der Nase herum mit seiner Mama? Aber er schlabbert mit Gummi - Tier und Sonnenschirm auch in das Staunen der Welt und rennt eine Flüchtlingsfamilie über den Haufen, die sich gerade vor dem Verfolgerzugriff sicher glaubte. Vielleicht ist es echt nur ein Hamburger.

Wenn es bei einer Fan-Gemeinde bleibt, soll es mir Spaß machen, daß ich die Erde nicht verliere und die Schönheiten des Kochlöffel-Grill, die viel zu wenig beachtet werden. Vielleicht ist es aber auch schon die Entfesselung der couch-potatoes. Dann Gnade Euch, die ihr noch in irgendeiner Weise Ich seid. Erinnert Euch: Peter Alexander, Heintje, Heino, Rex. Aber auch unser großer Vorsitzender, Führer, Jesus, Oshi. Sie alle haben euch lieb.-

John Lennon ist gestorben, weil er diese Scheiße nicht mitmachen wollte.

Ist es der Pudding , aus dem die Glatze springt, der Fisch im Wasser oder der ausgelutschte Weck?
Mein erleuchteter Nachbar singt: piep, piep, piep. Jesus hat dich lieb. Erster knalliger Spätfrühlingstag. Sonne. Eric Clapton, jetzt alt, singt mir aus meiner Pubertät. Die Bäume sind grüner, die Luft wie zum Leben trinken. So könnte ich immer weiter ins Blau. Aussteigen und in das Blau dieser Blumenkommune meines 68, ernst, sanft mit manchen verrückten Schnalzern an den Wurzeln eines Venushügels. Freiheit meinen schwarzen, roten, gelben Geschwistern. Unter Sonne und Mond, zwischen Austritt aus der und Eintritt in die ewige Wiederholung des Einmaligen.

Dann der Schmerz. Jetzt spüre ich nichts von ihm, kenne ich ihn nicht. Kleine, Wurm killende Amsel. Grumpf, die Katze hat dich gefressen.

Ach Ja, Gildo Horn. Er hat mich lieb. Wenn er noch ein halbes Jahr weiter macht, ist er Heino. Sind es die Abdecker und die Leichenlecker von Mannheim, die an seinen Lippen hängen? Mama liebt Gildo. Die einzig Vernünftigen, die nicht in den Sog einer dotzenden Rumkugel kommen sind wahrscheinlich Harald Juhnke (New York, New York) und Otto, das Schmatzen.

Vier Jahre später ist das Kaufhaus über seinen Ruhm weggerollt. Ich war zu hart zu einem, der doch irgendwie dazu gehört.

Pfefferminzhemd - 2

Laßt uns doch mal dieses Pfefferminzhemd betrachten. Aus den Halbärmeln die rosafarbenen blondflaumigen Arme eines Managers,  dessen  durchgeschorener Breitkopf aus dem Kragen schwenkt. Es glänzt feucht nach Nylon, aber hier ist kein Schweiß. Ein Duft von reiner, mineralischer Frische. Bitter Lemmon, noch eher Tonic und im Hintergrund ein Riesenbecher Tropic-Eis. Diese Haut unter diesem Azurblau-Wiesengrün. Ein fester feuchter Schlauch. Ich stelle mir eisblaue Augen dazu vor. Eine Arbeitsmaschine. Der geht aus dem Schwergewicht des Hinterns, neigt sich zu seinen fetthaarigen Fahrern gnädig, schickt sie mit Gesten von gymnastischer Flüssigkeit in die 360 Windrichtungen. Wie er wohl seine Berichte aufs Papier bringt? Ich kann mir einen gold-schwarzen, gold-grünen Kugelschreiber vorstellen, auch eine aus dem Katalog gezogene Sekretärin

Der Raum ist erfüllt von Schwimmbad, Florida, Gesten, Geschmeidigkeit eines Spiels von Schau und letzter Handlungsreise. Schau dieses Hemd von Pfefferminz und alle Triebe schweigen. Die Zeit bleibt stehen und deine Knechte tauchen in den Wellen nach Perlen. Es ist alles möglich. Daß er einen Revolver zieht, jemanden oder sich selbst erschießt. Nimm es dir - du hast die Macht- und gehe hinaus in neue Paläste der Leere. Karriere. Die Ewigkeit kristallisiert in deinen Zellen. Du gleitest durch die Glaswände des Lebens. Kannst du sterben? Die Neugier steigt aus dem Blutschlämmen unserer schmutzigeren Natur, es auszuprobieren. Jetzt aber wandle, wandere, in der uns so fernen illustrierten Zeit, frei von Mundgeruch und Potenzknick.
Es donnert. Als wenn ein Ungläubiger in der Hagia-Sofia einen fahren läßt.
*
Regale

Ein Manager schiebt sich durch die Regale. Den ganzen Tag in der bunten Welt. Unter den Gummisohlen ab und zu eine platte Banane, Joghurt, Zucker. Dort knirschen Spaghetti. Da rutschst du auf Marmelade aus. Eine Diebin.

Der Manager brüllt durch die ganze Bude. Die Würde des Menschen ist ein Wischlappen der Macht. Der Manager schiebt durch die Regale. Die Augen schwenken durch den Raum.

Dort räumt eine Angestellte ein. Er bückt sich, um zu helfen. Sie lacht und denkt: Idiot. Er macht die passenden Witze und fühlt Stärke. Eine Anweisung zum Abschluß. Freiheit der Person unter der Dreckschaufel. Ein Klo steht nicht zur Verfügung. Ein Manager schiebt durch die Regale. Heut Abend Treff beim Chef. Will er´s in Anzug oder Jeans.

Katholische Kirche, Kirchheim-Bolanden

Eigentlich kein Gebäude, mehr eine in die Tiefe gestreckte Zwei-Dimensionale. Die geraden Linien in einem weißen Knochen-Beton gehalten, die schmalen langen, schwarzen Fensterhöhlen, das schwarz gestrichene Rechteck von Tür.

Wie sehe ich es? Die ausgelaugten Holzbänke. Gerade gehobelt, aufgerissen vor Trockenheit. Moos und Flechten- Flecken auf den streng ausgerichteten Steinplatten. Vögel, deren Stimmen Dschungellianen in die Luft flechten.

Hierher verirrt sich niemand. Kinder, Schänder, Dichter und Priester. Sind wir hier in den von Schatten zerschnittenen Lichtquadern nicht überflüssig?

Oma mit dem Hund.

*

Planungswampe und Kralle der Verwaltung und das Bierzelt jubelt. Wieder ein Haus geopfert einer Orgie von Geld und Gier auf noch mehr Geld. Was geschieht in dieser Stadt?

Du gehst spazieren, und um dich Disneyland, die geschäftige Glätte von Krawatte und Kostüm und schwarzem BMW. Sie rührt die Menge auf der Käufer und der sich ins Leere begebenden Säufer. 


Ein Skin drückt seinen Sohn in den Hundekot. Hallo, es geht uns gut. Dort aber lungert lustige Jugend. Was willst du haben, Baseballschläger oder Schlagring? Wo ist ein Penner, ihn fertig zu machen? Uniform, Glatze zerschlagene Bierflaschen als Bekenntnis, Spaß am Quälen. Ein Gedanke, begraben unter Rowdy-Kotze und dem Edelpflaster, das ein Ingenieurbüro darüber legt. Ein Haus ist geknackt aber auch Erinnerungen an Menschen.

Und dann kommt der Regen. Und du wirst alt sein. Was du erzählen kannst, ist ein unendlich langer Fernsehfilm und eine Marktplatz-Szene, die schlechter ist als er. Dein Kind wird längst im eigenen Palast dein Imperium zerstückeln oder deinen Platz unterm Kanaldeckel erobert haben. Wohin willst du König Lear? Hier ist das Ende: im goldenen Rollstuhl von der Freundin deines Leibwächters erstickt, auf der Parkbank vom Kumpel deines Enkels erschlagen.
*

Es gibt jetzt so schöne grüne Hemden...

Hej, Mister Pfefferminz,
öffne diene Achselhöhlen;
Mamas Märchenprinz
von metallischen Befehlen.

Schweißtropfen-Thau auf Rosenhaut,
aus dem Slip ein Handy schießt
laserhart ins scall.
Nothing at all:

Der Tod hat diese Nacht geleast,
und der Bilanz im Desktop graut.
*
"Ahloo, Ahloo!...":

Da rufen dich lauter Angst und Verzweiflung eines machtlosen Mannes. Die zwei Polizisten haben den Flüchtenden niedergeworfen, drehen ihm die Hände auf den Rücken, drücken ihn mit dem Oberkörper auf die Motorhaube. Als Mensch spürst du den heftigen Impuls, zur Hilfe zu eilen. Der Hilferuf an dich als einen Bruder, eine Schwester der Erde läßt sich nicht überhören. Todesangst, schauerliches Echo von den Wänden unseres Verwaltungsblocks. An den hohen Fenstern sehen wir zu 20 oder 30 zu. Was Recht an einer Abschiebung ist , können wir uns vorstellen. Aber was ist daran menschlich?

Ein Hilferuf zerplatzt auf dem Altstadtpflaster. Verschlungen von den Schatten eines Innenhofs. 
Spürst du die Fluten der Einsamkeit?
Schweigend gehen wir wieder an unseren Schreibtische.

Betriebswirtschaft

Mit Freude bemerke ich, dass auch der Super- Lollipop Betriebswirtschaft ausgelutscht ist. Nach einer ungeheuren Ausdehnung in die Machtphantasien anfälliger Ideologen fällt sie zusammen und zurück in die Grenzen einer von Gesetzen gelenkten Organisation des Lebens. Wenn jetzt noch das Bullenprinzip der Willens-Allmacht von Mehrheiten und straff organisierten Cliquen sich dem Prozeß der  sensiblen Verständigung in allgemeinen Absprachen unterwirft, wird aus einer gesetzmäßigen Verwaltung des Lebens auch wieder eine im verfassungsmäßigen Rahmen.

Ein Spielzeugtraktor
steht vor der Aufzugs-Tür 3. 6. 98

Zu wem er gehört? Die Kollegin erklärt, daß gerade eine Familie abgeschoben wurde. Welches Kind ist gestern noch damit über das restaurierte Alzeyer Straßenpflaster gehoppelt? Ein Lied aus dem Kindergarten: " piep, piep, piep.. " oder aus der deutschen Hitparade von Liebe und Schmerz. Zwei Glatzen und ein Hund. Vorsichtig in den Hof zurück.
Jetzt sitzt er im Flugzeug bei einer weinenden Mama und einem bitteren Papa. In die Heimat. Das Elend wartet und der Tod aus den Gewehren eines serbischen Rassistenrudels. Wenn du durch die verwüstete Kindheit und die Wolfsschlucht einer Exilantenjugend hindurchkommst, wenn du eines Tages von einer zu spät kommenden Gerechtigkeit um Verzeihung gebeten wirst: Dann wirf dein Leben nicht in den Aktenvernichter einer Schlußstrich-Verwaltung. Behalte sie alle: Haß, Wut, Angst, tiefes Mißtrauen-. 

Das haben sie zu deiner Heimat gemacht. Nur da kannst du deinen verlorenen Schatz wiederfinden. Und dieser dunkle See Ich allein weiß, wieviel Reue genügt, seine Tiefe auszufüllen. Du allein bist es, der in diesem Spiegel erkennen kann, wieviel Tränen deine Verletzungen zur Heilung brauchen.
Ich aber schwöre, daß ich die Täter nicht an deiner Stelle von Schuld freisprechen werde.

Ein Spielzeugtraktor vor der Fahrstuhltür.

Geschenkt!