Mittwoch, 16. August 2017

1983

Versuch Tagebuch zu führen 2.2.83

Anblick bei Neonazi- Diskussion in 1/83 

(Fried?)
Aufgeschwemmter, alternder Lebemann mit politischem Drang. In der im Verhältnis zur düster drohenden Mine dünnen Stimme ein Liebesgedicht von "deinem Schoß, deinem Schoß, deinem Schoß" vorgelesen.

Glaubt daran, auch Lumpen unter Neonazis überzeugen oder wenigstens desavouieren zu können. Bringt dies fauchend vor - gleichgültig über die Gefahr und den Ekel hinweg stürzend, welche deren Produktion hervor bringen.

Intellektueller mit falschem Pathos. Es dröhnt von nicht begreifendem Selbstbewusstsein.

7.2.83

Als ich das Donald Duck Gekreisch des Adolf Hitler höre und das Brausen der idiotisierten Masse, fällt mir ein, daß mit Musik alles besser geht.

9.2.83

"Die Weiber haben wenigstens Toiletten. Aber womit decken die Männer ihre Leere?" Karl Kraus

Sie versuchten es mit langen Haaren und Bärten, wodurch die Komponente Neandertal mehr in den Vordergrund trat. Nun scheren sie sich und strecken  der Welt den wahren Schafskopf entgegen. So sollte doch von Fall zu Fall die Frau entscheiden.

Bekenntnis 2017: Ich gehöre zum Typ 1

11.2.

All die Mühe, um einmal mit Recht vergessen zu sein.

12.2.

Die Schamlosigkeit, in der Öffentlichkeit Bild - Zeitung zu lesen. Er steckt ja nicht nur seine Dumm-heit, auch seine Geilheit vor.

*

Ob sie bloß Aussteiger oder nicht doch Aufsteiger sind?

18.2.

Jenseits von Gut und Böse tanzt sich Zarathustra den Eindruck Schopenhauers aus den Knochen. Er lacht die Welt aus, aus der ihm das Schweigen der Erkenntnis antwortet. Ein Epigone, der nicht mehr, sondern besser wissen will. Seitdem stürmen sie die Berge, das Meer unter sich zu sehen. Der so sportliche Wille zur Macht, der Drang nach oben, zeigt seinen Rücken, den die Angst vor der Tiefe schiebt.

20.2.

Jede der tausend Verdrießlichkeiten des Alltags wirkt stärker als die Angst vor dem Atomkrieg. Davon lebt die Politik in der Zwischenzeit.

1.3.

Aber der Weise erkennt auch hinter all der unbelebten Literatur den Willen zum Leben.

(Heute würde ich fragen, wer den wohl dieser Weise sei. Dann würde eher der Rechnungsprüfer aus mir sprechen und den Willen zum Leben in seiner speziellen literarischen Erscheinung als Willen zur vorteilhaften Verbindung auch so benennen. Schließlich würde ich all die unbelebte Literatur noch einmal daraufhin durchsehen, ob dem Blick des das richtige Weltbild verzweifelt suchenden Ideologen da nicht richtig gute Literatur entgangen ist.)

*

Zum Leidwesen des Staatsapparats will es der Technik nicht gelingen, aus Menschen viereckige Tomaten zu züchten, während es ein bleibendes Ärgernis des Liberalismus ist, daß Persönlichkeit keinen Anspruch auf Einräumen eines Steuerfreibetrags begründet.

(Ergänzung 2017: Man behilft sich derweilen mit der Kameraderie im Privileg).

*

Vermummungsverbot für Steuerhinterzieher? Wozu gibt es Datenschutz?

8.3.

Mens sana in corpore sano

Zu Deutsch: gesundem Geist entgegenzuwirken bedarf es eines vitalen Körpers. Nur ein gesunder Körper macht ein gesundes Volksempfinden.

10.3.

Er und sie

sein erotisierter Geist umspannt das All. Als sie sagt: "Ich liebe Dich", zerplatzt der Ballon. Wenn das Weltall leer ist, erscheint selbst das winzige Etwas von Strahlung des Atoms als gewaltig. Es ist eine Entfernung denkbar, aus der Atom und Sonne gleich groß erscheinen. Es hat allen Raum, ihr auszu-weichen, sie alle Zeit, es einzuatmen.

*

Ein Gigolo

angeblich soll auch ein Neutrino Masse haben, wiewohl noch kein Wissenschaftler an einem von ihnen etwas an die Fähigkeit, von Körpern angezogen zu werden, erinnerndes, bemerkt hat.

Ich vermute, daß es Neutrinos nur als Rechengröße gibt.

11.3.

Künstler für die SPD, Künstler für die Grünen.

Ich habe dennoch so gewählt, weil die Parteien auf die Künstler pfeifen. Die Grünen stehen noch phantasievoll da. Aber wie es der Egoismus will, werden Sie sich bald in einen Natur - und in einen Kulturzweig spalten, woselbst aus ersterem die Partei wieder in Persönlichkeiten, aus letzterem in lustige Gesellen mit melancholischer Note zerfallen wird. Der Rest wird in die Reformhäuser einge-gliedert.

Anm. 2017: Karriere war nicht voraus zu ahnen. Sie pfiffen nicht nur auf Künstler (die Grünen entle-digten sich –wie der Film zeigt - auf schäbige Weise Beuys), sondern auf die dort deutlichere Sensibilität.

*

Ein markantes Gesicht aus Beton.

*

12.3.

Wenn dem Wolf ein zivilisiertes Gesicht angezüchtet wird, entsteht die Dogge.

*

Ein Technokrat mit einer Naturburschenmentalität, der es auf ein paar Strahlen mehr oder weniger nicht ankommt.

13.3.

Die anarchistische Jugend versteht doch etwas ganz anderes unter persönlicher Freiheit als ihre liberalen Alten: die wollen sich vom Finanzamt nicht ins Einkommen gucken lassen, jene nicht von Amt für Ausbildungsförderung. Beide verbitten sich die Einmischung des Staates in seine Finanzangelegenheiten.

*

Aus einer Physiognomie ein Antlitz oder eine Visage schnitzen.

***

Hier enden die Einträge. Die Tätigkeit des Schnitzens hinterlässt manchmal doch auch Schnitzer und Schmarren. Insbesondere, wenn im Rausch der Ichentwicklung noch allerlei Ideologie und Grundsatz die Hand führt. Das ist wohl manchmal mit Langeweile oder seltsamem Beigeschmack zu lesen. Aber so waren wir und so sind wohl unsere Nachfolger. Es hat seine schönen Seiten nicht nur gehabt. Und die Abgehobenheit des Alters muß nicht Siegel der Weisheit sein. Das wird wohl eher bei der Narrheit des Alters zu finden sein. Welche dann das zutreffende zu ihrer Wichtigkeit sagen und pfeifen wird.

Dokumentiert für Nachleser und als Ermunterung für Selbstdenker auf der Suche.

Freitag, 11. August 2017

Bereinigtes aus den 80ern

Ein Mitleid, das hilft, wenn das Opfer sich durch Charakter legitimiert!

Dem Leiden stecken sich ohnedies nur wenige Hände entgegen. Es wage nicht die Bitte, über die bare Existenz hinaus am Leben auch noch teilzunehmen. Es verwende das gleiche Parfüm von Kultur und zeige nicht, das es die höhere Zivilisationsstufe von Bierfusel und Weindusel nicht riechen kann. Intellektuellen gegenüber treffe sein Angstschrei den rechten weltanschaulichen, zu Zwecken der Lyrik verwendbaren Ton. Die Nase ist das dem Herzen gegenüber höher entwickelte Organ.
Reue und Verbrechen
anlässlich Bericht der FR 20.3.87 zum Euthanasie - Prozess des Dr. Ullrich

Das Widerwärtige ist nicht, das ein von Strafe bedrohter Lebenswille die abseitigen und übelsten Argumente zur Verteidigung nutzt und Barmherzigkeit lügt, sondern, daß er nicht bereut. Aber Reue nimmt ja freiwillig und- im achtenswertesten Fall- die Strafe gerne auf sich. Strafe hat den Sinn, den Triumph des Verbrechers angesichts des Leidens aufzuheben - allerdings durch Leiden. Das ist die Gemeinschaft den Opfern schuldig, doe sie nicht schützen konnte.

Der gewöhnliche Verbrecher kann als entschuldigende Grundlage seiner Tat nur den Aspekt der eigenen Notlage vorbringen, sei es innerer Zwang, sei es äußerer Mangel. Je nach Größe der Zwangslage kann dann im Sinne der Opfer straffe vermindert oder verschärft werden. Damit müssen Opfer oder Angehörige dann leben. Bei Nazi - Verbrechen ist es in der Regel so, das die Notlage auf Seiten des Täters darin bestand, sich bei der Wahl zwischen Gehorsam und Verweigerung, also zwischen Wohlbefinden und geringfügigen Nachteilen, sich für die Karriere entschieden haben. Die strafverschärfende Motivation wird leider nur von den Opfern und den Angehörigen wie wenigen Beobachtern regelmäßig erlangt. Die solcherart mangelhafte Fähigkeit der Gesellschaft zu ethischem Urteil ist hinzunehmen und der insgesamt kläglichen Beschaffenheit des Lebens selbst zuzuschlagen.

Von Rache unterscheidet sich Strafe insofern als sie das Leiden, das sie verhängt an der Größe des Leidens orientiert, das die Tat dem Opfer zufügte, insofern als es Rechte gegenüber Menschen hatte. Rache geht darüber hinaus, indem sie auch leiden verfolgt, das nicht der Tat zuzurechnen oder dem Opfer selbst geschehen ist. Ihr Ziel ist nicht Aufhebung des Verbrechens, sondern Leiden des Verbrechers.

Opfer, Angehörige und der von Abscheu bewegte Betrachter erwarten, über die Bestrafung der Tat hinaus die Abkehr des Täters von der Tat. Strafe u.U. d Rache sind nicht zu solcher Wirkung fähig: der Schuldige wird dadurch zur Furcht vor den Verfolgern, nicht zu reuigem Mitleid bewegt.
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Todesstrafe
"Es ist etwas in meiner Hand, das sich weigert, ein Todesurteil zu unterschreiben. "  Charles II. von England.
Während in den Händen manches aufgeklärten Staatsoberhaupts häufig etwas ist,  das sich weigert, eine Begnadigung zu unterschreiben.
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Über Feigheit

Mut ist, wie Schopenhauer bemerkt, keine Eigenschaft von moralischer Qualität. Die Überwindung der( berechtigten) Furcht durch ein die Zwecke der Selbsterhaltung verdrängendes Motiv ist aber im Gegensatz zu Schopenhauers Deutungsversuch nicht schon wegen der Verachtung des Lebenswillens auch der Achtung wert. Ob Mut moralisch oder verächtlich ist, hängt allein von der Qualität des Motives ab, die ihn hervorbringt.

So kann der Selbsterhaltungswille sowohl durch ein Motiv überwunden werden, das sich aus der Hoffnung auf einen sadistischen Genuss für einen niederträchtigen, als auch durch ein anderes, das sich aus dem Anblick eines Leidens für einen barmherzigen Charakter ergibt. Ob der Mut sich dagegen anlässlich einer verzweifelten oder einer hoffnungsvollen Situation zeigt, hat Bedeutung nur hinsichtlich seiner Größe ( im Verhältnis zur überwundenen Angst), nicht hinsichtlich seiner moralischen Qualität. Es gibt großen Mut in menschlichen wie in bestialischen  Angelegenheiten.

Ebenso kann Feigheit in moralischen Dingen keine Schuld wie in niederträchtigen keine moralische Achtung begründen. Wo etwa der Selbsterhaltungstrieb über das Mitleid siegt, ist das Handeln nicht der Achtung würdig.

Da Selbsterhaltung Grundlage des Lebenswillens ist, richtet sich die Verachtung der Feigheit gegen das Leben, den Menschen überhaupt. Der Einzelne muß aber nur insofern, nicht für die spezielle Tat, sondern für sein Menschsein überhaupt die Verachtung annehmen. Und für das Tun oder Unterlassen mag er strafrechtlich - von der Tat her - verantwortlich sein. Moralisch, im Feld der Motive, ist die Schuld unmöglich zu ermessen. Daß er "so einer ist", oder war, z.b. überhaupt fähig war, böse zu wollen, nicht zu bereuen, ist das, was wir nicht begreifen, weder bejubeln noch verachten können. Wir verachten und bestrafen aber, dass er dieses Wollen umgesetzt, sich vom auch-Mensch-sein abgewendet hat.

Schwieriges, nie abgeschlossenes Metier, am Einzelfall stets neu zu verhandeln. (Nachsatz 40 Jahre später)

Dienstag, 8. August 2017

Wege sanieren

Ich betrachte Texte der 80er, zum Teil sind sie noch älter.

Ich finde Wahrheiten des Verstehen und Herausfinden-Wollens, heldenhaft erzürntes Pathos, Talent. Den allergrößten Teil werfe ich weg, lasse die Erinnerung am Vergessen arbeiten.

Ja! Meinen Weg ging ich suchend, im Wunsch gerecht zu sein, zu helfen, es richtig zu tun. Ich hatte Erfolg, nicht Ruhm. Ich erlebte Glück.

Dem Leiden versuchte ich eine Stimme zu geben. Jetzt habe ich selbst davon, ohne davon reden zu können. Aber für das, was ich hatte, danke ich.

Warum nicht dokumentierten? ich möchte schon von den schönen, erhabenen, schlimmen und gefährlichen Plätzen berichten und singen, zu denen mich mein Weg führte. Andere kamen auf anderen Wegen zu den gleichen Plätzen oder zu schöneren pp. Wer einmal nachschauen wollte, wo ich war und wie es mir erging, sollte auf dem Weg zu solchen Plätzen lieber nicht vom eigenen Weg abweichen. Die vielen kleinen Irrwege, Gartenpfade nicht weniger voll Schlamm, Dornen aber auch schönen Panoramen pp, unterscheiden sich zu wenig unter uns Wanderern, als dass man auf das Erlebnis eigener innerer Landschaft zugunsten des Nachlebens einer anderen verzichten sollte. Lieber vom eigenen enttäuscht als vom anderen erhoben und vom eigenen enttäuscht. Mein Rat: Hänge deinen eigenen Knüppel statt einen Feinstrich von Picasso auf. Aber besuche diesen in einem guten Museum.

Und mich besuche in meinem Blog, wo ich selbst schon ausgewählt habe und weiter vor allem auch lösche.

Ich schreibe zu viel als daß ich viel von anderen lesen könnte. Das wenige hat mir gezeigt, daß es viel Gutes auch bei anderen gibt, das sich zu erkunden und aufzubewahren lohnt. In Kindheit und Jugend habe ich vor allem die Luft in der Stadtbücherei eingesogen, später las ich Phantastisches, politische Literatur. Dann mehr und mehr. Dann: Wie gut, daß es eine Schopenhauer -, eine Jean - Paul - Gesellschaft gab. Wie gut, das der Verlag 2001 Karl Kraus nachdruckte. All die verschlungenen Pfade von Suchern, Liebenden, die man nachgehen konnte, wenn man etwas aus dem eigenen Inneren deutlicher, schöner gesagt hören wollte. Es sagte: geh den eigenen Weg! Und: Suche!

Und ich ging durch eigenes Dickicht. Und es war und ist schön und unschön, aber selbst. Mag der Wind meine Spur verwehen, ich selbst helfe nach. Was sichtbar bleibt, möge den Aufwand des Interesses lohnen. Wenn nicht: ich habe mein bestes getan, dies zu ersparen. Und auch Enttäuschung lohnt als Angebot zu eigenem Leben.

Ich war jung. Die neuen Jungen, soweit sie kritische Vernunft bevorzugen, schreiben so pathetisch und energisch wie ich damals. Ich entsorge ähnliches. Aber ich finde, solcher Rausch hält die Sehnsucht nach allem, was den Menschen liebenswert macht, also Menschlichkeit, am Leben. Mein weiser Kopf lächelt. Eine Alterserscheinung. Auch sie herzlich nötig.

8.8.17