Schlichten statt richten
Schiedsamtszeitung 1990, Heft 04,
Im Alter von 83 Jahren verstarb am 2.1.1990
Schiedsmann O. G., Alzey, Träger des Goldenen Ehrenringes des Stadt
Alzey und der Verfassungsmedaille des Landes Rheinland-Pfalz.
Mehr als ein Jahrzehnt bekleidete er das Amt
des Schiedsmanns. mit großem Einfühlungsvermögen und Engagement.
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„Geb.
Datum ....06,
Geburtsort. Weinheim
NSDAP 1.5.37
bis Ende
SA 30.1.34. bis
Ende Sturmführer“
Ich gehe durch Strassen voll mit jungen
Erwachsenen, Studierenden voll Hoffnung, voll mit Kleidungstüten, Kinderwagen
und ans Phone gehängte Ohrmuscheln. Blau, blau der Himmel, die Sonne auf roten
und gelben Sandsteinwänden. Ich freue mich auf eine badische Butterbrezel vom
Syrer und auf einen Mohnkuchen aus irgendeiner Fabrik.
Ich bin dabei, mich von etwas Vergangenheit
zu befreien, habe schon Kunst und Literatur entsorgt oder in Archive verbannt,
das nächste Buch rührt sich. Und doch ist mir schwer von grauer Erinnerung.
Ein Kampf, indem ich Opfern zum Recht
verhelfen wollte habe ich auf dem Tisch liegen. Die Hauptakteure der Geschichte
sind tot, ich selbst erzähle uninteressante Geschichten in eine aktive
Generation hinein. Aber ich kann es nicht vernichten, "entsorgen",
noch ablegen im Archiv des Vergessens.
Ich höre die Geschichte der Elisabeth
Langgässer, ihrer Tochter Cordelia Edvardson und deren Tochter Elisabeth
Hofmann, denke an den SS-Arzt, der in ihr Haus zog und an meine eigene Geschichte.
Es zieht hinab in Schuld und Ohnmacht der Bemühung.
Nein! Dies gehört nicht ins Archiv. Dies ist
Skandal bis heute! Wissend um die Ehrlosigkeit einer Karriere schlägt eine
Stadt, in der all dies möglich war, den ehemaligen Sturmführer SA, G., zum
Schiedsmann vor. Vehement schreibe ich dagegen an und werde abgewiesen.
Bei der Veranstaltung zur jüdischen Geschichte in
Alzey sitzt der ehemalige Sturmführer in einer der vordersten Reihen.
Herrn
Klaus Wachowski
AIzey
Direktor des Amtsgerichts
Alzey
Datum: 18. November
1988
Betr.:
Schiedsmann O. G.
Bezug:
Ihr Schreiben vom 8. November 1988
Sehr
geehrter Herr Wachowski!
Als
jemand, der nicht am Verfahren der Ernennung von Schiedsmännern beteiligt und
auch sonst nur außenstehende Privatperson ist, haben Sie kein formelles
Antragsrecht.
Ihr
Schreiben kann ich daher -was Ihnen als Beamter verständlich sein dürfte - nur
als Anregung verstehen.
Die
Schiedsmannsordnung sieht eine Abberufung des ernannten Schiedsmannes nicht
vor.
Herr
G., Träger des Ehrenringes der Stadt
Alzey und langjähriges Stadtratsmitglied, wurde auf einstimrnigen Beschluß
des Stadtrates der Stadt Alzey für dieses Amt vorgeschlagen.
Mit
freundlichem Gruß
Dr.
Koch
Herrn
Klaus
Wachowski
Alzey
*
Amt
10 - Hauptamt
Alzey,
23. November 1988
I
Betreff:
Schiedsmann O. G.
Lieber
Klaus,
bezugnehmend
auf Dein Schreiben vom 08.11.1988 und das mir in Durchschrift zur Verfügung
gestellte Antwortschreiben des Direktors des Amtsgerichts Alzey vom 18.11.1988
bin ich der Auffassung, die Angelegenheit nunmehr auf sich beruhen zu lassen.
Ich hatte bereits kurz Gelegenheit mit Dir persönlich darüber zu sprechen und
nehme auch insoweit hierauf Bezug. Gerne können wir den diesbezüglichen
Gedankenaustausch gelegentlich noch vertiefen. Ich bitte Dich mit dieser
Verfahrensweise einverstanden zu sein und verbleibe
mit
freundlichen Grüßen
Bürgermeister
*
Jüdische
Gemeinde
Mainz,
den 25. Januar l989
Klaus
Wachowski
Alzey
Sehr
geehrter Herr Wachowski,
wir
danken Ihnen für Ihr Schreiben vom 12. d.Mts. und danken Ihnen gleichzeitig für
Ihren steten Einsatz im Kampf gegen den Rechtsradikalismus.
Ihre
Frage, ob in Mainz während der Pogromnacht Männer aus Alzey eingesetzt waren,
müssen wir verneinen. Es wüteten Gymnasiallehrer, aus Mainz, deren Namen uns
bekannt sind. Lediglich die Schüler brachte man aus den umliegenden
Ortschaften, die dann die Wohnungseinrichtungen zerstörten.
Wenn
Sie sich mit der Vergangenheit der Bürger des Dritten Reiches beschäftigen,
werden auch Sie feststellen, daß Sie entweder in Watte greifen, oder auf
Schweigen und Beschönigung stoßen und keine konkreten Fakten bekommen.
mit
freundlichen Grüßen
(Prof .Dr.Gerrard Breitbart)
Dokumentationszentrum
Wien, 24.Jänner 1990 SW/A
Sehr geehrter Herr Wachowski!
Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Brief vom
21.11.1989 und die vielen Gedanken, die Sie mir darin im Anschluss an den
TV-Zweiteiler Recht, nicht Rache mitgeteilt haben
Sie haben in den meisten Kritikpunkten recht.
.......
Ich danke Ihnen jedenfalls für Ihr Interesse
an meiner Arbeit und Ihre Aktivitäten, durch die Sie zum Multiplikator von
Wahrheit und der Forderung nach Sich-damit-auseinandersetzen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Simon Wiesenthal
An den Stadtrat hatte ich geschrieben, an meinen
damals ehemaligen Parteifreund und in seiner Bürgergerechtigkeit nicht mehr
erreichten späteren Innenminister von Rheinland-Pfalz die Entscheidung
kommentiert.
Alzey 2.12.1988
An die Parteien im Stadtrat
Betrifft: Vorschlag des Herrn O. G. zum
Schiedsmann 30.1.34, zum Jahrestag der Machtergreifung, kurz nach dem Gesetz
zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat, tritt der Buchdrucker O. G. in
dies ein. Er bringt es zum Führer einer der vier in Alzey gebildeten SA -
Stürme. Am 1.5. 1937 „Tag der Arbeit“ erfolgt die Aufnahme in die NSDAP.
Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung zur
Geschichte der Juden in Alzey nimmt der Schiedsmann und Träger des Ehrenring
der Stadt Alzey ROG Platz unter den Ehrengästen, ehemaligen Alzeyer Bürgern und
Angehörigen von Alzeyer Opfern.
Bei einem Gespräch mit einem damals
Verfolgten ist über solche Sachverhalte zur Hauptsache Resignation
festzustellen. Wie sagte mir doch ein Vertreter von Opfern bei ähnlicher
Gelegenheit?: „Entweder sind es Arbeiter oder kleine Beamte deren Beförderung
man zu verhindern verstand, während die einstigen Parteibonzen oder
Parteiangehörige einander die Steigbügel zur Beförderung hielten.“
Ich bitte die Parteien im Stadtrat, den
gewiss in Unkenntnis über die einstige Karriere des Herrn G. erfolgten
Vorschlag zum Schiedsmann zurückzunehmen. Die darin ausgedrückte Ehrung
widerspricht dem Andenken an die Leiden der Opfer des NS - Systems. …l.
Was der jetzige Schiedsmann sich nach dem
Krieg auch immer an Verdiensten erworben haben mag, es wiegt nicht ein Gran der
Existenzangst auf, die anständige Bürger wie die Alzeyer Juden und die
demokratische Opposition beim Anblick der Uniform des Sturmführers empfinden
mussten. Und welches Erlebnis muß es wohl für jemanden sein, der sich damals
vor dem Unerhörten verbeugen musste, einen dort Geehrten unter den jetzt
Geschätzten zu erblicken. Man stelle sich vor ein NS-Opfer müsste vor solch
einem Schiedsmann Sühne für die Beleidigung etwa durch einen Neonazi
einfordern, von solcher Karriere sich zur Mäßigung anmahnen lassen.
Ähnliches und Schlimmeres kommt vor… Das ist
keine Frage…Keiner Frage aber auch, dass dies nicht vorkommen dürfte.
Ein Jurist hat mich darüber belehrt, dass es
angeblich keine Möglichkeit auf Aufhebung einer solchen Wahl wie die des
Schiedsmannes gibt. Ist die entsprechende Regelung tatsächlich so aus jedem
Rahmen fallend, so steht einer öffentlichen Erklärung des Stadtrates über den
der Entscheidung zugrunde liegenden Irrtum nichts im Wege. In dem der
Wiederherstellung der Ehre seiner Mitbürger verpflichteten Ernst bitte ich Sie
daher, die dieser entgegengesetzte Ehrung rückgängig zu machen.
Mit freundlichen Grüßen
*
2.12. 1988
Lieber Walter
Es geht wirklich nicht anders: öffentliche
Ehrung und verheimlichte Schuld. Das ist genau das, was die heutige Diskussion
zur NS- Zeit in aller Welt bestimmt. Seien es Waldheim, Höfer oder eben G.: auf
einen Nenner gebracht ist jedem deutlichen Empfinden zur Schuldfrage eines
gewiss: Dortige Karriere und jetzige Ehre - das ist eben das Unerhörte, was die
Opfer zu allererst als so widerwärtig empfinden, dass sie die Kollektivschuld
zwar öffentlich verneinen aber innerlich für wahr halten. Sie sehen es nicht
ein, auch nur ein Wort mit Deutschen zu reden, die es doch gewagt haben, ihren
Kameraden, Vätern, Verwandten usw. an Stelle der Opfer zu verzeihen, ...
„Der hat ja nichts getan!“ - Aber doch
profitiert, und damit wird aus dem Trittbrettfahrer eben ein Nutznießer der
Unmenschlichkeit. Wie kann der jemals mehr Ehre erhalten als einer, der
zumindest nicht mitgemacht hat?
Ich höre die zukünftigen Geschichtsschreiber:
"der Träger des Ehrenrings der Stadt Alzey und SA-Sturmführer O.G..."
Die haben doch gerade 1934 die Demokratie ob rechts oder links nicht nur mit
Stiefeln getreten, … Mögen sie immer innerlich anders gedacht haben. Aber sie
haben es - hier nämlich die Karriere - doch gewollt. -
Wir wären auch schuldig geworden?
Aber doch nicht jeder wäre NSDAP- Mitglied
geworden oder SA-Führer. Und wenn, dann müsste er sich eben heute auch
zumindest so reuig fühlen, jede Ehrung mit Händen und Füßen von sich zu weisen!
Ist es allzu menschlich? So hat doch das Allzumenschliche noch immer keine
Ehrung verdient. Hat er denn nicht genug an Karriere auch nach dem Krieg
gemacht, auch noch den öffentlichen Respekt zu beanspruchen zu können, der
unscheinbaren aber nicht annähernd so beteiligten Mitbürgern versagt wird?
Da geht nichts über das Gewissen: Ehre, wem
Ehre gebührt. Und wo sie sich gegen die Achtung vor dem einfachen Menschenwert
der Anderen verkehrt, muss sie auch versagt oder zurückgenommen werden können.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus
*
Die ebenfalls angeschriebene AZ schwieg
höflich, nicht alle Freunde nickten verständnisvoll mit dem Kopf. „Laß die
Toten ruhn“.
Eben das war die Absicht meiner Vorbringungen
gewesen. Jetzt heftete sich die Schuld irgendein Verdienst ans Revers und
setzte sich mitten unter die Würdenträger, die sie höflich nickend empfingen.
Wer stand Wache vor den Plakaten mit der
Aufschmier "Kauft nicht bei Juden?". Wer dirigierte zur Pogromnacht?
Wer meldete, erstattete Bericht? Wer schützte die benachbarten Häuser vor dem
Feuer in der Synagoge? Watte, Schweigen,
Beschönigung.
Aus der AZ Alzey zum 9.11. 2018:
Angefangen
hatte der Krach frühmorgens. Gruppen der
SA aus Nachbargemeinden und aus Alzey hatten sich zuerst der Synagoge
angenommen. Sie hatte über Nacht der Befehl erreicht: „Sämtliche jüdischen
Geschäfte sind sofort von SA-Männern in
Uniform zu zerstören. Nach der Zerstörung hat eine SA-Wache aufzuziehen,
die dafür zu sorgen hat, dass keinerlei Wertgegenstände entwendet werden
können. (...) Jüdische Synagogen sind sofort in Brand zu stecken, jüdische
Symbole sind sicherzustellen. Die Feuerwehr darf nicht eingreifen. Es sind nur
Wohnhäuser arischer Deutscher zu schützen. (...) Bei Widerstand sofort über den
Haufen schießen.“ Diese verbrecherischen Aktionen sollten als spontan ausgebrochener
„Volkszorn“ erscheinen, tatsächlich waren sie von der NSDAP-Zentrale in München
über Nacht reichsweit ausgelöst worden.
Schrein aufgebrochen und angezündet
In
Alzey wurde als Erstes der Schlüssel zur Synagoge gesucht, im Gemeindehaus der
Israelitischen Kultusgemeinde in der Neugasse 16. Dieter Hoffmann berichtet:
„Dort trafen sie zunächst auf Lieselotte Rosenthal geb. Baum, Tochter aus dem
Weingut Baum, und sie malträtierten sie
so lange mit Tritten, bis sie die Aufbewahrung des Synagogenschlüssels im
1. Stock bei Lehrer und Kantor Salo Säbel verriet. (...) Das Mobiliar und die
Gedenktafeln mit den jüdischen Gefallenen des 1. Weltkrieges wurden
zertrümmert, der heilige Schrein mit den Thorarollen aufgebrochen und daraus
ein Feuer angezündet.“
Ein dunkles Gefühl von Ohnmacht gegenüber der
ungestört bleiben wollenden Gemütlichkeit der Abwiegler verdüstert mir bis
heute manche Erinnerung.
*
Das ist dreißig Jahre her, die Schuld 75 bis
80 Jahre.
Ich gehe durch die Straßen voll fröhlicher
Gesichter. Was schleppe ich ein Gefühl mit mir herum, das gerechter Weise die
Gemütlichen beschweren müsste? Ich wünsche mir, daß es bei Dir anders wirkte:
als Anstoß zu Vorsicht in moralischen Angelegenheiten. Das Leben wäre zu
schwer, könnte man den Menschen nicht vertrauen.
Aber vertraue ihren Würdenträgern nicht zu
sehr. Nimm Dein Gewissen, zum Maßstab und vertraue nicht den Beglaubigungen der
Bemächtigten. Wirke, aber erhoffe nicht einen eigentlich zustehenden Erfolg.
Sei enttäuscht, doch nicht zerstört, wenn Deine Wirkung nicht größer ist als
die eines braven Bittstellers, mal so, mal so. Und nimm die Stille der
peinlichen Betroffenheit als das an, was Du gewöhnlich im besten Fall erreichen
kannst.
Unter diesen fröhlichen Gesichtern in
strahlender Sonne sind nicht nur "gute, anständige Leute". Aber doch
eine ganze Menge davon. Daran lass mich glauben! Ich gebe meine Hoffnung nicht
auf, wo ich sie weitergebe. Ich habe nicht viel getan und sehr wenig erreicht.
Mit anderen zusammen aber war es mehr. Diese Erfahrung gebe ich mit meiner Hoffnung
weiter.
Ich erwachte einst in einem Traum der Natur.
Da war Blühen, Gesang von Vögeln, Versprechen von Liebe. Ich begegnete dem
Bösen, der Gleichgültigkeit. Ich sah das Leid und das Morden. Ich war mutig und
feige.
Das glaube ich stark: Ich wäre nie geworden wie sie. Aber auch ich
war selten stark in der Menschlichkeit. Ich hatte jedoch Glück. Das Versprechen
war stärker als die Täuschung. Und Liebe und Verlust erfüllen es bis heute.
22.11.18