Donnerstag, 22. November 2018

Schlichten statt richten 1988/89


Schlichten statt richten

Schiedsamtszeitung  1990, Heft 04,

Im Alter von 83 Jahren verstarb am 2.1.1990 Schiedsmann O. G., Alzey, Träger des Goldenen Ehrenringes des Stadt Alzey und der Verfassungsmedaille des Landes Rheinland-Pfalz.
Mehr als ein Jahrzehnt bekleidete er das Amt des Schiedsmanns. mit großem Einfühlungsvermögen und Engagement.


Document Center

„Geb. Datum ....06,
Geburtsort. Weinheim

NSDAP              1.5.37      bis Ende
SA                   30.1.34.      bis Ende          Sturmführer“

Ich gehe durch Strassen voll mit jungen Erwachsenen, Studierenden voll Hoffnung, voll mit Kleidungstüten, Kinderwagen und ans Phone gehängte Ohrmuscheln. Blau, blau der Himmel, die Sonne auf roten und gelben Sandsteinwänden. Ich freue mich auf eine badische Butterbrezel vom Syrer und auf einen Mohnkuchen aus irgendeiner Fabrik.

Ich bin dabei, mich von etwas Vergangenheit zu befreien, habe schon Kunst und Literatur entsorgt oder in Archive verbannt, das nächste Buch rührt sich. Und doch ist mir schwer von grauer Erinnerung.

Ein Kampf, indem ich Opfern zum Recht verhelfen wollte habe ich auf dem Tisch liegen. Die Hauptakteure der Geschichte sind tot, ich selbst erzähle uninteressante Geschichten in eine aktive Generation hinein. Aber ich kann es nicht vernichten, "entsorgen", noch ablegen im Archiv des Vergessens.

Ich höre die Geschichte der Elisabeth Langgässer, ihrer Tochter Cordelia Edvardson und deren Tochter Elisabeth Hofmann, denke an den SS-Arzt, der in ihr Haus zog und an meine eigene Geschichte. Es zieht hinab in Schuld und Ohnmacht der Bemühung.

Nein! Dies gehört nicht ins Archiv. Dies ist Skandal bis heute! Wissend um die Ehrlosigkeit einer Karriere schlägt eine Stadt, in der all dies möglich war, den ehemaligen Sturmführer SA, G., zum Schiedsmann vor. Vehement schreibe ich dagegen an und werde abgewiesen.

Bei der Veranstaltung zur jüdischen Geschichte in Alzey sitzt der ehemalige Sturmführer in einer der vordersten Reihen.


Herrn
Klaus Wachowski
AIzey

Direktor des Amtsgerichts
Alzey
Datum: 18. November 1988

Betr.: Schiedsmann O. G.
Bezug: Ihr Schreiben vom 8. November 1988

Sehr geehrter Herr Wachowski!

Als jemand, der nicht am Verfahren der Ernennung von Schiedsmännern beteiligt und auch sonst nur außenstehende Privatperson ist, haben Sie kein formelles Antragsrecht.

Ihr Schreiben kann ich daher -was Ihnen als Beamter verständlich sein dürfte - nur als Anregung verstehen.
Die Schiedsmannsordnung sieht eine Abberufung des ernannten Schiedsmannes nicht vor.
Herr G., Träger des Ehrenringes der Stadt Alzey und langjähriges Stadtratsmitglied, wurde auf einstimrnigen Beschluß des Stadtrates der Stadt Alzey für dieses Amt vorgeschlagen.

Mit freundlichem Gruß
Dr. Koch

Herrn
Klaus Wachowski
Alzey

*
Amt 10 - Hauptamt
Alzey, 23. November 1988
I
Betreff: Schiedsmann O. G.

Lieber Klaus,

bezugnehmend auf Dein Schreiben vom 08.11.1988 und das mir in Durchschrift zur Verfügung gestellte Antwortschreiben des Direktors des Amtsgerichts Alzey vom 18.11.1988 bin ich der Auffassung, die Angelegenheit nunmehr auf sich beruhen zu lassen. Ich hatte bereits kurz Gelegenheit mit Dir persönlich darüber zu sprechen und nehme auch insoweit hierauf Bezug. Gerne können wir den diesbezüglichen Gedankenaustausch gelegentlich noch vertiefen. Ich bitte Dich mit dieser Verfahrensweise einverstanden zu sein und verbleibe

mit freundlichen Grüßen
Bürgermeister

*

Jüdische Gemeinde
Mainz, den 25. Januar l989
Klaus Wachowski

Alzey

Sehr geehrter Herr Wachowski,

wir danken Ihnen für Ihr Schreiben vom 12. d.Mts. und danken Ihnen gleichzeitig für Ihren steten Einsatz im Kampf gegen den Rechtsradikalismus.

Ihre Frage, ob in Mainz während der Pogromnacht Männer aus Alzey eingesetzt waren, müssen wir verneinen. Es wüteten Gymnasiallehrer, aus Mainz, deren Namen uns bekannt sind. Lediglich die Schüler brachte man aus den umliegenden Ortschaften, die dann die Wohnungseinrichtungen zerstörten.

Wenn Sie sich mit der Vergangenheit der Bürger des Dritten Reiches beschäftigen, werden auch Sie feststellen, daß Sie entweder in Watte greifen, oder auf Schweigen und Beschönigung stoßen und keine konkreten Fakten bekommen.

mit freundlichen Grüßen

(Prof .Dr.Gerrard Breitbart)


Dokumentationszentrum
Wien, 24.Jänner 1990 SW/A

Sehr geehrter Herr Wachowski!

Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Brief vom 21.11.1989 und die vielen Gedanken, die Sie mir darin im Anschluss an den TV-Zweiteiler Recht, nicht Rache mitgeteilt haben
Sie haben in den meisten Kritikpunkten recht.

.......

Ich danke Ihnen jedenfalls für Ihr Interesse an meiner Arbeit und Ihre Aktivitäten, durch die Sie zum Multiplikator von Wahrheit und der Forderung nach Sich-damit-auseinandersetzen werden.

Mit freundlichen Grüßen
Simon Wiesenthal

An den Stadtrat hatte ich geschrieben, an meinen damals ehemaligen Parteifreund und in seiner Bürgergerechtigkeit nicht mehr erreichten späteren Innenminister von Rheinland-Pfalz die Entscheidung kommentiert.

Auszüge aus meinen Briefen 

Alzey 2.12.1988

An die Parteien im Stadtrat

Betrifft: Vorschlag des Herrn O. G. zum Schiedsmann 30.1.34, zum Jahrestag der Machtergreifung, kurz nach dem Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat, tritt der Buchdrucker O. G. in dies ein. Er bringt es zum Führer einer der vier in Alzey gebildeten SA  -  Stürme. Am 1.5. 1937 „Tag der Arbeit“ erfolgt die Aufnahme in die NSDAP.

Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung zur Geschichte der Juden in Alzey nimmt der Schiedsmann und Träger des Ehrenring der Stadt Alzey ROG Platz unter den Ehrengästen, ehemaligen Alzeyer Bürgern und Angehörigen von Alzeyer Opfern.

Bei einem Gespräch mit einem damals Verfolgten ist über solche Sachverhalte zur Hauptsache Resignation festzustellen. Wie sagte mir doch ein Vertreter von Opfern bei ähnlicher Gelegenheit?: „Entweder sind es Arbeiter oder kleine Beamte deren Beförderung man zu verhindern verstand, während die einstigen Parteibonzen oder Parteiangehörige einander die Steigbügel zur Beförderung hielten.“

Ich bitte die Parteien im Stadtrat, den gewiss in Unkenntnis über die einstige Karriere des Herrn G. erfolgten Vorschlag zum Schiedsmann zurückzunehmen. Die darin ausgedrückte Ehrung widerspricht dem Andenken an die Leiden der Opfer des NS - Systems. …l.

Was der jetzige Schiedsmann sich nach dem Krieg auch immer an Verdiensten erworben haben mag, es wiegt nicht ein Gran der Existenzangst auf, die anständige Bürger wie die Alzeyer Juden und die demokratische Opposition beim Anblick der Uniform des Sturmführers empfinden mussten. Und welches Erlebnis muß es wohl für jemanden sein, der sich damals vor dem Unerhörten verbeugen musste, einen dort Geehrten unter den jetzt Geschätzten zu erblicken. Man stelle sich vor ein NS-Opfer müsste vor solch einem Schiedsmann Sühne für die Beleidigung etwa durch einen Neonazi einfordern, von solcher Karriere sich zur Mäßigung anmahnen  lassen.

Ähnliches und Schlimmeres kommt vor… Das ist keine Frage…Keiner Frage aber auch, dass dies nicht vorkommen dürfte.

Ein Jurist hat mich darüber belehrt, dass es angeblich keine Möglichkeit auf Aufhebung einer solchen Wahl wie die des Schiedsmannes gibt. Ist die entsprechende Regelung tatsächlich so aus jedem Rahmen fallend, so steht einer öffentlichen Erklärung des Stadtrates über den der Entscheidung zugrunde liegenden Irrtum nichts im Wege. In dem der Wiederherstellung der Ehre seiner Mitbürger verpflichteten Ernst bitte ich Sie daher, die dieser entgegengesetzte Ehrung rückgängig zu machen.

Mit freundlichen Grüßen
*

2.12. 1988
Lieber Walter

Es geht wirklich nicht anders: öffentliche Ehrung und verheimlichte Schuld. Das ist genau das, was die heutige Diskussion zur NS- Zeit in aller Welt bestimmt. Seien es Waldheim, Höfer oder eben G.: auf einen Nenner gebracht ist jedem deutlichen Empfinden zur Schuldfrage eines gewiss: Dortige Karriere und jetzige Ehre - das ist eben das Unerhörte, was die Opfer zu allererst als so widerwärtig empfinden, dass sie die Kollektivschuld zwar öffentlich verneinen aber innerlich für wahr halten. Sie sehen es nicht ein, auch nur ein Wort mit Deutschen zu reden, die es doch gewagt haben, ihren Kameraden, Vätern, Verwandten usw. an Stelle der Opfer zu verzeihen, ...

„Der hat ja nichts getan!“ - Aber doch profitiert, und damit wird aus dem Trittbrettfahrer eben ein Nutznießer der Unmenschlichkeit. Wie kann der jemals mehr Ehre erhalten als einer, der zumindest nicht mitgemacht hat?

Ich höre die zukünftigen Geschichtsschreiber: "der Träger des Ehrenrings der Stadt Alzey und SA-Sturmführer O.G..." Die haben doch gerade 1934 die Demokratie ob rechts oder links nicht nur mit Stiefeln getreten, … Mögen sie immer innerlich anders gedacht haben. Aber sie haben es - hier nämlich die Karriere - doch gewollt. -

Wir wären auch schuldig geworden?

Aber doch nicht jeder wäre NSDAP- Mitglied geworden oder SA-Führer. Und wenn, dann müsste er sich eben heute auch zumindest so reuig fühlen, jede Ehrung mit Händen und Füßen von sich zu weisen! Ist es allzu menschlich? So hat doch das Allzumenschliche noch immer keine Ehrung verdient. Hat er denn nicht genug an Karriere auch nach dem Krieg gemacht, auch noch den öffentlichen Respekt zu beanspruchen zu können, der unscheinbaren aber nicht annähernd so beteiligten Mitbürgern versagt wird?

Da geht nichts über das Gewissen: Ehre, wem Ehre gebührt. Und wo sie sich gegen die Achtung vor dem einfachen Menschenwert der Anderen verkehrt, muss sie auch versagt oder zurückgenommen werden können.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus

*

Die ebenfalls angeschriebene AZ schwieg höflich, nicht alle Freunde nickten verständnisvoll mit dem Kopf. „Laß die Toten ruhn“.

Eben das war die Absicht meiner Vorbringungen gewesen. Jetzt heftete sich die Schuld irgendein Verdienst ans Revers und setzte sich mitten unter die Würdenträger, die sie höflich nickend empfingen.

Wer stand Wache vor den Plakaten mit der Aufschmier "Kauft nicht bei Juden?". Wer dirigierte zur Pogromnacht? Wer meldete, erstattete Bericht? Wer schützte die benachbarten Häuser vor dem Feuer in der Synagoge?  Watte, Schweigen, Beschönigung.

Aus der AZ Alzey zum 9.11. 2018:

Angefangen hatte der Krach frühmorgens. Gruppen der SA aus Nachbargemeinden und aus Alzey hatten sich zuerst der Synagoge angenommen. Sie hatte über Nacht der Befehl erreicht: „Sämtliche jüdischen Geschäfte sind sofort von SA-Männern in Uniform zu zerstören. Nach der Zerstörung hat eine SA-Wache aufzuziehen, die dafür zu sorgen hat, dass keinerlei Wertgegenstände entwendet werden können. (...) Jüdische Synagogen sind sofort in Brand zu stecken, jüdische Symbole sind sicherzustellen. Die Feuerwehr darf nicht eingreifen. Es sind nur Wohnhäuser arischer Deutscher zu schützen. (...) Bei Widerstand sofort über den Haufen schießen.“ Diese verbrecherischen Aktionen sollten als spontan ausgebrochener „Volkszorn“ erscheinen, tatsächlich waren sie von der NSDAP-Zentrale in München über Nacht reichsweit ausgelöst worden.
Schrein aufgebrochen und angezündet
In Alzey wurde als Erstes der Schlüssel zur Synagoge gesucht, im Gemeindehaus der Israelitischen Kultusgemeinde in der Neugasse 16. Dieter Hoffmann berichtet: „Dort trafen sie zunächst auf Lieselotte Rosenthal geb. Baum, Tochter aus dem Weingut Baum, und sie malträtierten sie so lange mit Tritten, bis sie die Aufbewahrung des Synagogenschlüssels im 1. Stock bei Lehrer und Kantor Salo Säbel verriet. (...) Das Mobiliar und die Gedenktafeln mit den jüdischen Gefallenen des 1. Weltkrieges wurden zertrümmert, der heilige Schrein mit den Thorarollen aufgebrochen und daraus ein Feuer angezündet.“

Ein dunkles Gefühl von Ohnmacht gegenüber der ungestört bleiben wollenden Gemütlichkeit der Abwiegler verdüstert mir bis heute manche Erinnerung.

*

Das ist dreißig Jahre her, die Schuld 75 bis 80 Jahre. 

Ich gehe durch die Straßen voll fröhlicher Gesichter. Was schleppe ich ein Gefühl mit mir herum, das gerechter Weise die Gemütlichen beschweren müsste? Ich wünsche mir, daß es bei Dir anders wirkte: als Anstoß zu Vorsicht in moralischen Angelegenheiten. Das Leben wäre zu schwer, könnte man den Menschen nicht vertrauen.

Aber vertraue ihren Würdenträgern nicht zu sehr. Nimm Dein Gewissen, zum Maßstab und vertraue nicht den Beglaubigungen der Bemächtigten. Wirke, aber erhoffe nicht einen eigentlich zustehenden Erfolg. Sei enttäuscht, doch nicht zerstört, wenn Deine Wirkung nicht größer ist als die eines braven Bittstellers, mal so, mal so. Und nimm die Stille der peinlichen Betroffenheit als das an, was Du gewöhnlich im besten Fall erreichen kannst.

Unter diesen fröhlichen Gesichtern in strahlender Sonne sind nicht nur "gute, anständige Leute". Aber doch eine ganze Menge davon. Daran lass mich glauben! Ich gebe meine Hoffnung nicht auf, wo ich sie weitergebe. Ich habe nicht viel getan und sehr wenig erreicht. Mit anderen zusammen aber war es mehr. Diese Erfahrung gebe ich mit meiner Hoffnung weiter.

Ich erwachte einst in einem Traum der Natur. Da war Blühen, Gesang von Vögeln, Versprechen von Liebe. Ich begegnete dem Bösen, der Gleichgültigkeit. Ich sah das Leid und das Morden. Ich war mutig und feige.
Das glaube ich stark:  Ich wäre nie geworden wie sie. Aber auch ich war selten stark in der Menschlichkeit. Ich hatte jedoch Glück. Das Versprechen war stärker als die Täuschung. Und Liebe und Verlust erfüllen es bis heute.

22.11.18

Dienstag, 20. November 2018

Freitag, 9. November 2018

Austritt eines Beamten 1997 Grüne

Ich hatte meinen Austritt mit der Tatsache begründet, dass sie nach der Privatisierung dem Staat auch noch die Beamten nehmen wollten.
Zunächst der Brief aus dem Büro Vollmer:
Bonn, 08.07.97
Lieber Klaus Wachowski,

Dein Schreiben an die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen vom 18. Juni wurde zuständigkeitshalber an unser Büro weitergeleitet. Wir bedauern Deinen Parteiaustritt. Zu Deiner Begründung möchte ich aus Sicht unserer Beamtenpolitik aber doch etwas anmerken.

Bündnis 90 / Die Grünen setzen sich für einen modernen, effizient und bürgernah arbeitenden öffentlichen Dienst ein. Dabei geht es uns insbesondere darum, daß das Beamtentum den veränderten Bedingungen und Anforderungen unserer Gesellschaft gerecht werden kann. Wir halten daher weitergehendere Reformen für notwendig als sich der Bundesinnenminister in seinem Entwurf für ein Dienstrechtsreformgesetz zugetraut hat. Und wir glauben, daß dies unterhalb einer Grundgesetzänderung schon jetzt möglich ist. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung verfolgt in großen Teilen einen Ansatz, der weitreichende Modernisierungen unter Zustimmung der Beschäftigten und zugunsten größerer Bürgerfreundlichkeit nicht ermöglicht.

Wir halten die Reform der öffentlichen Verwaltungen schon lange für überfällig, weil große Teile der Verwaltung heutigen Anforderungen nicht mehr entsprechen. Viele Beschäftigte des öffentlichen Dienstes klagen zurecht über starre Strukturen, fehlende Flexibilität und Eigenständigkeit sowie Arbeitsüberlastung. Ihre Kreativität und Leistungsbereitschaft wird bislang nicht genutzt. Der Kunde bekommt dann leicht eine Mißlaunigkeit zu spüren. (Anmerkung: war wohl noch nicht als Kunde Bahn gefahren.)

Nach Auffassung der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen soll der Einsatz von Beamtinnen und Beamten nicht abgeschafft, wohl aber auf die hoheitlichen Kernbereiche wie Polizei und Justiz eingeengt werden. Dabei ist uns klar, daß viele Beamte gute Leistungen erbringen, oft gerade trotz der starren und umständlichen Strukturen. Die Reformen dürfen deshalb nicht auf ihrem Rücken ausgetragen, sondern müssen gemeinsam mit ihnen voran gebracht werden.

Wir wollen den Beschäftigten Sicherheit für ihren Arbeitsplatz, aber auch Mut zur Veränderung vermitteln. Eine Reform des öffentlichen Dienstes liegt nicht zuletzt in ihrem eigenen Interesse. Wir fordern deshalb für alle Beschäftigten leistungsorientierte und motivationsfördernde Arbeitsbedingungen. Dazu gehört die Vergabe von Führungspositionen auf Zeit, eine größere Durchlässigkeit und Flexibilität im Laufbahnsystem, mehr Flexibilität in den Arbeitszeiten, ein Berufsausstiegskonzept, sowie der Ausbau von Aus-, Fort- und Weiterbildung.
Daß dabei auch die Politik selbst sich reformieren muß, ist uns sehr bewußt. Sie sollte künftig der Verwaltung klarere Zielvorgaben machen, um sie dann eigenverantwortlich arbeiten zu lassen. Nur so wird sich eine motivierte, leistungsstarke und dadurch auch bürgerfreundliche Verwaltung schaffen lassen, die die Erledigung der Bürgerinteressen in den Mittelpunkt setzt.

Wir halten solche Reformen für wichtig, gerade um das Beamtentum zeitgemäß zu erhalten. Insofern ist mir Deine Kritik nicht verständlich.

Christian Holtorf, Wiss. Mitarbeiter
Mit freundlichen Grüßen


Heute -2018- mag mancher, der nicht von seinem persönlichen Vorankommen geblendet ist das Desaster erkennen. Alle Trumps, Putins und Kims haben das Rezept der Grünen realisiert. Der Zustand zeigt die Rückseite des reinen Weltbildes. Vielleicht findet man auch hier Wölfe als naturgegebenes Ideal. Ich war Beamter und hatte anderen Einblick in die Sache, den ich von Hannah Arendt geteilt sehen durfte. Das H.A. Institut in den Händen der Unpolitik?

Ich antwortete jedenfalls:

Alzey, 13. Juli 1997
Herrn Christian Holtorf
Büro Dr. A. Vollmer
Bundeshaus
P 93
53113      Bonn

Ihre politische Erklärung zu meinem Parteiaustritt vom 8.7.97

Sehr geehrter Herr Holtorf,

Ich habe die Fraktion angeschrieben. Sie hat meinen Brief an Sie weitergeschoben. Ich hatte meinen Austritt erklärt, Sie hatten das Bedürfnis, sich zu erklären. Sie redeten für eine Partei, von der ich anderes zu hören gewöhnt war. Meine Kritik ist ihnen nicht verständlich, möglicherweise ist es die Hannah Arendts:

"Sie (die bourgeoise Klasse) hat wahrscheinlich im Staat nie etwas anderes als eine notwendige Organisation zu Polizeizwecken gesehen. Diese Blindheit... hatte zur Folge, daß die Mitglieder dieser Klasse immer in erster Linie Privatpersonen blieben ... Denn die Privatgesellschaft, in der diese Klasse lebte, war eine Gesellschaft von Konkurrenten, in der in der Tat galt, daß Macht Recht ist, daß der Erfolg der einzige Maßstab allen Tuns und Leidens ist und daß der Größere notwendigerweise immer den Kleineren verschlingen muß .
Im Zeitalter des Imperialismus, da Geschäftsleute selbst von Politikern um ihrer staatsmännischen Einsicht willen bewundert wurden, während Staatsmänner nur noch ernst genommen wurden, wenn sie sich wieerfolgreiche Geschäftsleute gebärdeten, wurde diese Maximen privaten, an Konkurrenz gebundenen Handelns nach und nach auf das Niveau von Prinzipien für die Ordnung öffentlicher Angelegenheiten gehoben  ...
Gerade weil die nationale Innenpolitik anfänglich von dieser Umwertung unberührt blieb, wurde die Bevölkerung kaum gewahr, daß das systematische Außerachtlassen aller Fragen des öffentlichen Wohls und die Rücksichtslosigkeit, die für das gesellschaftliche Leben ohnehin schon kennzeichnend waren, aber gegen welche die staatlichen Instanzen die Privatpersonen, so gut es ging, geschützt hatten, nun auf sie politische Sphäre der öffentlichen Angelegenheiten  selbst ausgedehnt werden sollten, so daß der individuelle Bürger schließlich selbst den dürftigen Schutz noch verlor, den Gesetz und Recht ihm gegen die Anarchie der Gesellschaft geboten hatten.  HA. Elemente und Ursprünge... "Serie Piper S 241

Der Funktionärsstaat, den Sie als Perspektive vorschlagen, ist nichts als die ideologische Bürokratie nach altem Muster:

"... Juristisch gesprochen und im Gegensatz zur Gesetzesherrschaft ist Bürokratie das Regime der Verordnungen. Die Macht, die in Verfassungsstaaten nur der Ausführung und Innehaltung der Gesetze dient, wird hier, wie in einem Befehl, zur direkten Quelle der Anordnung. Verordnungen sind ferner immer anonym, während Gesetze immer auf bestimmte Personen  oder gesetzgebende Versammlungen zurückgeführt werden können; sie bedürfen weder der Begründung noch der Rechtfertigung im einzelnen Fall ...Vom Standpunkt dieser Bürokratie, die die despotische Herrschaft für den Dynasten besorgte, erschienen die verfassungsmäßigen Regierungen als unendlich unterlegen und die ihr eigentümlichen Gesetze als " Fallen ", in welche die Herrschenden sich nur unnötigerweise verstrickten. Auch fühlten diese Bürokraten ... sich den gesetzgebenden verfassungsmäßigen Regierungen dadurch überlegen, daß sie durch keine Prinzipien ... eingeschränkt waren, also in ihrem Sinne über eine viel größere Freiheit verfügten; auf die Beamtenschaft dieser Staaten sah sie ebenfalls herab, weil diese in der Anwendung der Gesetze wiederum von Gesetzesinterpretationen gehemmt und so an direktem politischem Handeln verhindert war. Der Bürokrat, wiewohl er nur Verordnungen durchführt, die er selbst nicht erlassen hat, hat zum mindesten die Illusion einer ständigen, weitreichenden Tätigkeit und fühlt sich himmelweit den "unpraktischen" Leuten überlegen, die sich dauernd über legalistische Details den Kopf zerbrechen müssen und daher außerhalb der Machtsphäre bleiben, die für ihn Politik überhaupt verkörpert ."
HA. a.a.O. S 351

Sie wollen das Gegenteil von mir. Wie sollen Sie mich verstehen ? Wo ich das Wort Recht erwarte, verwenden Sie gleich drei Worte aus der Supermarkt -Propaganda : Effizienz, Flexibilität, Bürgerfreundlichkeit.

Ich habe in meiner Ausbildung von Beamten, die die Gründung der Republik erlebten, so etwas nicht gehört. Mir war nie bewußt, daß es die Aufgabe einer Rechte-Verwaltung sein könnte, irgend etwas effizient wegzuputzen, Käufermassen effizient zu bedienen oder einer Aktionärsversammlung zur gesellschaftlichen Dividende aus dem Volkskörper zu verhelfen. Mit Flexibilität muß jeder, der Recht verhandelt und nicht Aktien jongliert oder einem fremden Willen vorauseilt, Probleme haben; und Bürgerfreundlichkeit ist eine Talk-Show- Tugend, die dem Respekt gegenüber dem Bürger nicht angemessen ist .

Sie lächeln, ich nehme ernst. Ihr zeitgemäßes Beamtentum ist das der 2/3tel-Gesellschaft, in der der Staat sich auf den Schutz des oberen Drittels zurückzieht und den Rest den Streetgangs aller Sparten überläßt. Daher der Rückzug auf " hoheitliche " Macht ausübende Beamtenschaft. Daß Sie es nicht vom imperialistischen Hochhaus, sondern von erleuchteten Campus aus fordern, ändert an den Folgen für diese Republik nichts.

Eine Grundgesetzänderung ziehen sie nicht in Betracht. Der Bürger dankt .

Dafür machen Sie ihn zum Kunden. So wird Recht käuflich. Keinem Bürger, der sein Recht will, fällt ein, daß er so etwas wie ein reklamierender Kunde ist und das Recht eine Ware. Sie sind zum Beispiel ein beauftragter Manager, der voll vom Willen seiner Auftraggeberin abhängt. Wie sollen Sie einen verstehen können, der nur an Recht und Gesetz gebunden ist und allerdings nicht hinter einer Kasse zu sitzen wünscht, sondern einer Bürgerin oder einem Bürger gegenüber, der nach seinem Recht verlangt. ..

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wachowski

Heute 2018 denke ich, dass solche Spannungen stets wirken werden, wenn sich Routine, also mangelnde Wachsamkeit, und unkontrollierter Ehrgeiz -mit Erbanspruch- in eine Republik von frei und gleich geborenen Bürgern einschleicht. Es braucht keine Diktatur, um in eine Diktatur zu fallen.

Und die Prüfer der Politik, die täglich im Dienst der besonders kommunalen Rechnungsprüfung  an Willfährigkeiten leiden von indirekt vorgesetzten Politikern, die sie mit allerlei Tricks und Drohungen aushebeln können, um weiter als gnädige Mamas und Papas zu erscheinen,- mein Bedauern aber auch Ermutigung: Ihr seid von der Republik eingesetzt, nicht vom mächtigen Freund, der sich Bravheit für Beförderung erwartet....