Freitag, 9. November 2018

Austritt eines Beamten 1997 Grüne

Ich hatte meinen Austritt mit der Tatsache begründet, dass sie nach der Privatisierung dem Staat auch noch die Beamten nehmen wollten.
Zunächst der Brief aus dem Büro Vollmer:
Bonn, 08.07.97
Lieber Klaus Wachowski,

Dein Schreiben an die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen vom 18. Juni wurde zuständigkeitshalber an unser Büro weitergeleitet. Wir bedauern Deinen Parteiaustritt. Zu Deiner Begründung möchte ich aus Sicht unserer Beamtenpolitik aber doch etwas anmerken.

Bündnis 90 / Die Grünen setzen sich für einen modernen, effizient und bürgernah arbeitenden öffentlichen Dienst ein. Dabei geht es uns insbesondere darum, daß das Beamtentum den veränderten Bedingungen und Anforderungen unserer Gesellschaft gerecht werden kann. Wir halten daher weitergehendere Reformen für notwendig als sich der Bundesinnenminister in seinem Entwurf für ein Dienstrechtsreformgesetz zugetraut hat. Und wir glauben, daß dies unterhalb einer Grundgesetzänderung schon jetzt möglich ist. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung verfolgt in großen Teilen einen Ansatz, der weitreichende Modernisierungen unter Zustimmung der Beschäftigten und zugunsten größerer Bürgerfreundlichkeit nicht ermöglicht.

Wir halten die Reform der öffentlichen Verwaltungen schon lange für überfällig, weil große Teile der Verwaltung heutigen Anforderungen nicht mehr entsprechen. Viele Beschäftigte des öffentlichen Dienstes klagen zurecht über starre Strukturen, fehlende Flexibilität und Eigenständigkeit sowie Arbeitsüberlastung. Ihre Kreativität und Leistungsbereitschaft wird bislang nicht genutzt. Der Kunde bekommt dann leicht eine Mißlaunigkeit zu spüren. (Anmerkung: war wohl noch nicht als Kunde Bahn gefahren.)

Nach Auffassung der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen soll der Einsatz von Beamtinnen und Beamten nicht abgeschafft, wohl aber auf die hoheitlichen Kernbereiche wie Polizei und Justiz eingeengt werden. Dabei ist uns klar, daß viele Beamte gute Leistungen erbringen, oft gerade trotz der starren und umständlichen Strukturen. Die Reformen dürfen deshalb nicht auf ihrem Rücken ausgetragen, sondern müssen gemeinsam mit ihnen voran gebracht werden.

Wir wollen den Beschäftigten Sicherheit für ihren Arbeitsplatz, aber auch Mut zur Veränderung vermitteln. Eine Reform des öffentlichen Dienstes liegt nicht zuletzt in ihrem eigenen Interesse. Wir fordern deshalb für alle Beschäftigten leistungsorientierte und motivationsfördernde Arbeitsbedingungen. Dazu gehört die Vergabe von Führungspositionen auf Zeit, eine größere Durchlässigkeit und Flexibilität im Laufbahnsystem, mehr Flexibilität in den Arbeitszeiten, ein Berufsausstiegskonzept, sowie der Ausbau von Aus-, Fort- und Weiterbildung.
Daß dabei auch die Politik selbst sich reformieren muß, ist uns sehr bewußt. Sie sollte künftig der Verwaltung klarere Zielvorgaben machen, um sie dann eigenverantwortlich arbeiten zu lassen. Nur so wird sich eine motivierte, leistungsstarke und dadurch auch bürgerfreundliche Verwaltung schaffen lassen, die die Erledigung der Bürgerinteressen in den Mittelpunkt setzt.

Wir halten solche Reformen für wichtig, gerade um das Beamtentum zeitgemäß zu erhalten. Insofern ist mir Deine Kritik nicht verständlich.

Christian Holtorf, Wiss. Mitarbeiter
Mit freundlichen Grüßen


Heute -2018- mag mancher, der nicht von seinem persönlichen Vorankommen geblendet ist das Desaster erkennen. Alle Trumps, Putins und Kims haben das Rezept der Grünen realisiert. Der Zustand zeigt die Rückseite des reinen Weltbildes. Vielleicht findet man auch hier Wölfe als naturgegebenes Ideal. Ich war Beamter und hatte anderen Einblick in die Sache, den ich von Hannah Arendt geteilt sehen durfte. Das H.A. Institut in den Händen der Unpolitik?

Ich antwortete jedenfalls:

Alzey, 13. Juli 1997
Herrn Christian Holtorf
Büro Dr. A. Vollmer
Bundeshaus
P 93
53113      Bonn

Ihre politische Erklärung zu meinem Parteiaustritt vom 8.7.97

Sehr geehrter Herr Holtorf,

Ich habe die Fraktion angeschrieben. Sie hat meinen Brief an Sie weitergeschoben. Ich hatte meinen Austritt erklärt, Sie hatten das Bedürfnis, sich zu erklären. Sie redeten für eine Partei, von der ich anderes zu hören gewöhnt war. Meine Kritik ist ihnen nicht verständlich, möglicherweise ist es die Hannah Arendts:

"Sie (die bourgeoise Klasse) hat wahrscheinlich im Staat nie etwas anderes als eine notwendige Organisation zu Polizeizwecken gesehen. Diese Blindheit... hatte zur Folge, daß die Mitglieder dieser Klasse immer in erster Linie Privatpersonen blieben ... Denn die Privatgesellschaft, in der diese Klasse lebte, war eine Gesellschaft von Konkurrenten, in der in der Tat galt, daß Macht Recht ist, daß der Erfolg der einzige Maßstab allen Tuns und Leidens ist und daß der Größere notwendigerweise immer den Kleineren verschlingen muß .
Im Zeitalter des Imperialismus, da Geschäftsleute selbst von Politikern um ihrer staatsmännischen Einsicht willen bewundert wurden, während Staatsmänner nur noch ernst genommen wurden, wenn sie sich wieerfolgreiche Geschäftsleute gebärdeten, wurde diese Maximen privaten, an Konkurrenz gebundenen Handelns nach und nach auf das Niveau von Prinzipien für die Ordnung öffentlicher Angelegenheiten gehoben  ...
Gerade weil die nationale Innenpolitik anfänglich von dieser Umwertung unberührt blieb, wurde die Bevölkerung kaum gewahr, daß das systematische Außerachtlassen aller Fragen des öffentlichen Wohls und die Rücksichtslosigkeit, die für das gesellschaftliche Leben ohnehin schon kennzeichnend waren, aber gegen welche die staatlichen Instanzen die Privatpersonen, so gut es ging, geschützt hatten, nun auf sie politische Sphäre der öffentlichen Angelegenheiten  selbst ausgedehnt werden sollten, so daß der individuelle Bürger schließlich selbst den dürftigen Schutz noch verlor, den Gesetz und Recht ihm gegen die Anarchie der Gesellschaft geboten hatten.  HA. Elemente und Ursprünge... "Serie Piper S 241

Der Funktionärsstaat, den Sie als Perspektive vorschlagen, ist nichts als die ideologische Bürokratie nach altem Muster:

"... Juristisch gesprochen und im Gegensatz zur Gesetzesherrschaft ist Bürokratie das Regime der Verordnungen. Die Macht, die in Verfassungsstaaten nur der Ausführung und Innehaltung der Gesetze dient, wird hier, wie in einem Befehl, zur direkten Quelle der Anordnung. Verordnungen sind ferner immer anonym, während Gesetze immer auf bestimmte Personen  oder gesetzgebende Versammlungen zurückgeführt werden können; sie bedürfen weder der Begründung noch der Rechtfertigung im einzelnen Fall ...Vom Standpunkt dieser Bürokratie, die die despotische Herrschaft für den Dynasten besorgte, erschienen die verfassungsmäßigen Regierungen als unendlich unterlegen und die ihr eigentümlichen Gesetze als " Fallen ", in welche die Herrschenden sich nur unnötigerweise verstrickten. Auch fühlten diese Bürokraten ... sich den gesetzgebenden verfassungsmäßigen Regierungen dadurch überlegen, daß sie durch keine Prinzipien ... eingeschränkt waren, also in ihrem Sinne über eine viel größere Freiheit verfügten; auf die Beamtenschaft dieser Staaten sah sie ebenfalls herab, weil diese in der Anwendung der Gesetze wiederum von Gesetzesinterpretationen gehemmt und so an direktem politischem Handeln verhindert war. Der Bürokrat, wiewohl er nur Verordnungen durchführt, die er selbst nicht erlassen hat, hat zum mindesten die Illusion einer ständigen, weitreichenden Tätigkeit und fühlt sich himmelweit den "unpraktischen" Leuten überlegen, die sich dauernd über legalistische Details den Kopf zerbrechen müssen und daher außerhalb der Machtsphäre bleiben, die für ihn Politik überhaupt verkörpert ."
HA. a.a.O. S 351

Sie wollen das Gegenteil von mir. Wie sollen Sie mich verstehen ? Wo ich das Wort Recht erwarte, verwenden Sie gleich drei Worte aus der Supermarkt -Propaganda : Effizienz, Flexibilität, Bürgerfreundlichkeit.

Ich habe in meiner Ausbildung von Beamten, die die Gründung der Republik erlebten, so etwas nicht gehört. Mir war nie bewußt, daß es die Aufgabe einer Rechte-Verwaltung sein könnte, irgend etwas effizient wegzuputzen, Käufermassen effizient zu bedienen oder einer Aktionärsversammlung zur gesellschaftlichen Dividende aus dem Volkskörper zu verhelfen. Mit Flexibilität muß jeder, der Recht verhandelt und nicht Aktien jongliert oder einem fremden Willen vorauseilt, Probleme haben; und Bürgerfreundlichkeit ist eine Talk-Show- Tugend, die dem Respekt gegenüber dem Bürger nicht angemessen ist .

Sie lächeln, ich nehme ernst. Ihr zeitgemäßes Beamtentum ist das der 2/3tel-Gesellschaft, in der der Staat sich auf den Schutz des oberen Drittels zurückzieht und den Rest den Streetgangs aller Sparten überläßt. Daher der Rückzug auf " hoheitliche " Macht ausübende Beamtenschaft. Daß Sie es nicht vom imperialistischen Hochhaus, sondern von erleuchteten Campus aus fordern, ändert an den Folgen für diese Republik nichts.

Eine Grundgesetzänderung ziehen sie nicht in Betracht. Der Bürger dankt .

Dafür machen Sie ihn zum Kunden. So wird Recht käuflich. Keinem Bürger, der sein Recht will, fällt ein, daß er so etwas wie ein reklamierender Kunde ist und das Recht eine Ware. Sie sind zum Beispiel ein beauftragter Manager, der voll vom Willen seiner Auftraggeberin abhängt. Wie sollen Sie einen verstehen können, der nur an Recht und Gesetz gebunden ist und allerdings nicht hinter einer Kasse zu sitzen wünscht, sondern einer Bürgerin oder einem Bürger gegenüber, der nach seinem Recht verlangt. ..

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wachowski

Heute 2018 denke ich, dass solche Spannungen stets wirken werden, wenn sich Routine, also mangelnde Wachsamkeit, und unkontrollierter Ehrgeiz -mit Erbanspruch- in eine Republik von frei und gleich geborenen Bürgern einschleicht. Es braucht keine Diktatur, um in eine Diktatur zu fallen.

Und die Prüfer der Politik, die täglich im Dienst der besonders kommunalen Rechnungsprüfung  an Willfährigkeiten leiden von indirekt vorgesetzten Politikern, die sie mit allerlei Tricks und Drohungen aushebeln können, um weiter als gnädige Mamas und Papas zu erscheinen,- mein Bedauern aber auch Ermutigung: Ihr seid von der Republik eingesetzt, nicht vom mächtigen Freund, der sich Bravheit für Beförderung erwartet....

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