Samstag, 24. September 2016

Alte Texte


heute zu Nietzsche
 
Beim Demenzbäck mache ich mir Gedanken über meine früheren Gedanken zu Nietzsche.
Was mich ärgerte war die Selbstkultivierung eines narzißtischen Strebens.
Als Dichter ärgerte mich die Metaphernschmiere als Hintergrundmalerei einer Moralpredigt im Amoralischen.
Als Denkendem ging mir die Primitivität auf die Nerven, mit der über Jahrhunderte intensiven fragenden Ernstes von Religion und Philosophie hin gestiefelt wurde, als politisch Freiem das Lob von Herrschaft, für die sonst nur Diktatoren, ihre Kriecher und Orks werben.
Als dem Menschen Zugehöriger widerte mich seine Wut über die Menschlichkeit an bei gleichzeitiger Aufforderung zur Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden.
Schopenhauer, für mich bis heute Höhepunkt der Philosophie, für ihn ein verhaßter Meister, stellte er neben Christus als ein zu überwindendes Wollen  dar, ohne auch nur einen Pieps Erkenntnisphilosophie beizutragen.
Von Kant hatte er wohl so wenig Ahnung wie sein Begleiter in Narzismo Wagner Bezug zu Bach. Und leider natürlich erhielten beide die höchste Zustimmung bei einem Publikum, das -des Selbstdenkens und des Geschmacks müde- nach Gegenständen und Personen der kritiklosen Verehrung lechzte.
Beide stellten auf die Ruinen einer zerfallenen Epoche schillernde Abbildungen eines Ich-Ich und verkauften sie unter Ausstoßung gewaltiger farbiger Nebel mit Gewinn in der Weltanschauungsbude Romantik. Tönender Bauch und skandierender Phallus dienten denn auch immer wieder gern zum Aufputz des Herrschaftswahns nachfolgender Ideologen.
Hier, was ich von meinem alten Text noch unterschreiben kann. Ich staune, wie wenig geändert werden muß:

Nietzsche,
Vor dem Gebrüll des Willens zur Macht sind alle Philosophen bis auf ihn davongelaufen. Was er als Kraft anbetet, hatten sie nämlich als Schwäche im Geist erkannt, die sich nicht weniger laut als im Brüllen des Löwen in dem Kreischen des Esels äußert.
Wo Nietzsche über die Schwäche der Menschen lacht, lacht der Stolz einer Sklavenseele auf die Macht ihres Herrn. Was für eine klägliche Gestalt dieser umschwärmte Wille zur Macht doch aus der Nähe abgibt! Der über seinen Schatten zu springen suchende Zarathustra: ein Egoismus, der seinen Kopf auf die Straße legend eine Nachkommenschaft herbeifleht, die ihn zertreten möge. Wollen ohne Erkennen.
Es sieht ja so aus, als gäbe die Natur der Sehnsucht nach dem Übermenschen nach, indem alle vorhergehenden Jahrhunderte dem zwanzigsten an Bestialität nichts entgegen zu setzen hatten. Aber das lautere Heulen der Wölfe beim Knochenknacken deutet außer auf Stärke auch auf größeren Hunger hin, so dass selbst dem Übermenschen bei etwas Abstand vom eigenen Interesse die Frage kommen müßte, wozu dieses ganze wild gepeitschte Wollen gut sei, wenn die Lust nach dem Fressen, Saufen, Begatten und Töten von erhöht quälender Langeweile und Begierde gefolgt ist.
Aber gerade der Übermensch ist nur einer, weil ihm diese Frage nicht eingeht, weil er eben Wille, Herrschaft des Instinkts über den Geist, ist, welche ihm nicht sich selbst zeigen soll, sondern den direkten Weg zur Befriedigung.
So schreibt denn die an den Schein des Lebens gefesselte Herrenseele in § 56 des ,,Jenseits von Gut und Böse" das folgende Bekenntnis des Egoismus nieder, in dem der Trieb sich gegen das Fragen der Philosophie aufrichtet: -

"Wer, gleich mir, mit irgendeiner rätselhaften Begierde sich lange darum bemüht hat, den Pessimismus in die Tiefe zu denken und aus der halb christlichen, halb deutschen Enge und Einfalt zu erlösen, mit der er sich in diesem Jahrhundert zuletzt dargestellt hat, nämlich in Gestalt der Schopenhauerrischen Philosophie, wer wirklich einmal mit einem asiatischen und überasiatischen Auge in die Weltverneinendste aller möglichen Denkweisen hinein und hinunter geblickt hat -jenseits von Gut und Böse, und nicht mehr, wie Buddha und Schopenhauer, im Bann und Wahne der Moral-, der hat vielleicht eben damit, ohne dass er es eigentlich wollte, sich die Augen für das umgekehrte Ideal aufgemacht: für das Ideale des übermütigsten, lebendigsten, weltbejahendsten Menschen, der sich nicht nur mit dem, was war und ist, abgefunden und vertragen gelernt hat, sondern dies, so wie es war und ist, wieder haben will, in alle Ewigkeit hinaus, unersättlich da capo rufend, nicht nur zu sich, sondern zum ganzen Stücke und Schauspiele, und nicht nur zu einem Schauspiele, sondern im Grunde zu dem, der gerade dieses Schauspiel nötig hat - und nötig macht - - Wie? Und dies wäre nicht - circulus vitiosus deus?"

*
Fragt sich der Philosoph: "Das sagt doch schon der Instinkt. Wozu also fragen?"
Das überasiatische Auge des Ego hat entdeckt, dass das Leben doch einiges an Aufregung zu bieten hat, von der es in Ewigkeit den Wanst nicht voll genug haben kann. Auschwitz und Hiroshima breiten für derart überasiatische Aufmerksamkeit allerdings allzu penetrante Gerüche aus.
Mag dieser Ausbruch von Lust über Massengräbern, die die Grauen erregenden Dimensionen des folgenden Jahrhunderts noch nicht erreicht hatten, auch nichts mit der Gemeinheit einer Hefe zu schaffen haben, die in solchem Raunen und Rufen eines sich zu rechtfertigen suchenden Egoismus die rechte Propaganda für ihr Rasen zu finden glaubte, doch auch über Dachau muss Zarathustra sein goldiges Lachen lachen, seine Tarantella tanzen, wenn er so ernst gemeint ist wie er sich lustig über die Menschlichkeit macht.
Er hat es so nötig, wie es war und ist! Ob Löwe, Adler, Esel, Affe, ob Zarathustra oder Hitler: das Gebrüll des Willens zur Macht erweist sich dem Philosophen als ein und dieselbe Melodie in der jammervollen Operette des Lebens, die alte - nach dem Wort von Karl Kraus zu Caruso: "Wenn der Auerhahn balzt!"
Dem "Es ist alles eitel "des Salomo antwortet das "argh!" der Geilheit, welche der Urgrund des Optimismus ist und alles Menschenleiden will, weil ohne es die Lust nicht möglich ist.
Schopenhauer zog die buddhistische Lehre daraus, Christus stand für Leben trotz Leiden, aber auch gegen das Leiden, für Liebe als das Überwindende. Daraus mag jeder jeweils die ihm genehme Haltung begründen.
Die Philosophie verläßt hier ihr Terrain, begibt sich aus den Regionen der Einsicht in die Nebelwelten der Spekulation von Absichten. Es tönt Romantik und es zeigt sich, wer dem Rufen folgt, seine Vernunft loszuwerden. Für Glasperlen von Worten, Blasen werfende Musik bereit jedem Rattenfänger zu folgen.
-.-
Wie wenig ein Übermensch ein solcher von Geist ist, zeigt N auch in der Frage, die er in Paragraph 16 den Philosophen stellt: "Woher nehme ich den Begriff Denken? Warum glaube ich an Ursache und Wirkung? Was gibt mir das Recht, von einem Ich als Gedanken - Ursache zu reden?", der ein Philosoph doch sogleich das Nichtwissen und das Drauflosschwatzen abhört. Von wo soll denn der Begriff des Denkens sonst kommen, als von dort, wo alle Begriffe ihren Ursprung haben, nämlich aus der Vorstellung?
Aber hier hat er den Schopenhauer nicht gelesen, und nicht verstanden, was Lou Salome ihm davon berichten konnte. Er war sich wohl zu gut für Erkenntnisphilosophie und spekulierte eben aus dem gekränkten Phallus. Dass aus dem Übermenschen dann der Ork des Triumphs des Willens zur Herrschaft wurde, mag er nicht gewollt haben. Er hat es mit herbei gesungen.
Klaus Wachowski 2016, nach einem Text von 1983 - Gestrichen wurden Längen und Schärfen.


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