Freitag, 3. Mai 2019

Aus 1998

Hooligans

Die von menschlichem Frieden befreiten Spielplätze und Parks dehnen sich aus. Die Stunden des Grauens verschlucken die Mondnächte und die Brutalität läuft in die Fußgängerzone ein, reißt immer größere Brocken aus dem sterbenden Gespräch.
Hier liegt eine glitzernde Scherbe Ewigkeit. Du träumst und blickst in das aufgerissen Maul eines Kriminellen. Ein Gesicht- und schon schieben sich drei feixende Glatzen davor. Ein Sonnenstrahl- und schon hörst du einen seinen Kumpel auf dich hetzen.
Jetzt betrachte ich die sich durch die Fußgängerzone laufende Barockbombel. Sie kauft sich etwas und denkt: an diesem Platz wär ein Galgenbaum nicht schlecht. Spaßwelt aus dem Festzelt. Ein Eis leckend, eine am Bikini streichelnde Hand und die Schreie der Todesangst an der Hinrichtungsstätte einer vor Angst starren Gesellschaft. Der Mann bevorzugt ein Weize-Hefen und Scheiterhaufen. Ein Pulk religiös Berauschter fischt nach Geld und jungem Fleisch, ein Neonazi aus zerfressener Gefühlswelt sprüht hasserfüllte Blicke auf lachende Kinder, triumphierende auf eine zerstörte Schönheit, einen erschöpften, zerschlagen Körper. Wo ist die Hoffnung?
*
Gildo Horn 11.5.
Der lockt die Mama hinterm Ofen vor.
So etwas habe ich schon öfter erlebt. Was beweist, daß ich alt bin. Ich kann inzwischen sogar zugeben, daß ich es zwar mit viel Energie zu fassen suche, aber ziemlich sicher nicht begreife.
Sieg des 1. FCK, Leichenglotzen in Mannheim, Mittelalter-Straßenfest, Ballermann 6 und jetzt die schwitzende Nußecke. Für mich ist das alles eine Pommes-Frites- Bude mit Mob-Option. Ich glaube nicht, daß es da-da-da ist. Viel zuviel Mutterherz dabei. Die Zone zwischen Schmerbauch und Fußschweiß. Nicht, daß ich edler wäre, aber ich finde öffentliches Bierfurzen mit Liebesdunst elend. Es raschelt wie Bild-Zeitung vor der ersten miesen Morgenzote. Fingern vor Fühlen, aus der Schadenfreude schnell hervorgrapschen.
Aber bei ihm piept doch nur die Liebe und er drückt dich an seiner Wabbel - Brust, wenn du den Mond auf deine eigene Weise anstaunst, und drückt dir einen Pommes- Schmatz auf die Augen. Sprichst du von Liebe, spürst du einen Körper? Er singt dazwischen, knuddelt dich krumm. Ist er nicht ein Festzelt? Er führt die Edeltypen, Modepuppies an der Nase herum mit seiner Mama? Aber er schlabbert mit Gummi - Tier und Sonnenschirm auch in das Staunen der Welt und rennt eine Flüchtlingsfamilie über den Haufen, die sich gerade vor dem Verfolgerzugriff sicher glaubte. Vielleicht ist es echt nur ein Hamburger.

Wenn es bei einer Fan-Gemeinde bleibt, soll es mir Spaß machen, daß ich die Erde nicht verliere und die Schönheiten des Kochlöffel-Grill, die viel zu wenig beachtet werden. Vielleicht ist es aber auch schon die Entfesselung der couch-potatoes. Dann Gnade Euch, die ihr noch in irgendeiner Weise Ich seid. Erinnert Euch: Peter Alexander, Heintje, Heino, Rex. Aber auch unser großer Vorsitzender, Führer, Jesus, Oshi. Sie alle haben euch lieb.-

John Lennon ist gestorben, weil er diese Scheiße nicht mitmachen wollte.

Ist es der Pudding , aus dem die Glatze springt, der Fisch im Wasser oder der ausgelutschte Weck?
Mein erleuchteter Nachbar singt: piep, piep, piep. Jesus hat dich lieb. Erster knalliger Spätfrühlingstag. Sonne. Eric Clapton, jetzt alt, singt mir aus meiner Pubertät. Die Bäume sind grüner, die Luft wie zum Leben trinken. So könnte ich immer weiter ins Blau. Aussteigen und in das Blau dieser Blumenkommune meines 68, ernst, sanft mit manchen verrückten Schnalzern an den Wurzeln eines Venushügels. Freiheit meinen schwarzen, roten, gelben Geschwistern. Unter Sonne und Mond, zwischen Austritt aus der und Eintritt in die ewige Wiederholung des Einmaligen.

Dann der Schmerz. Jetzt spüre ich nichts von ihm, kenne ich ihn nicht. Kleine, Wurm killende Amsel. Grumpf, die Katze hat dich gefressen.

Ach Ja, Gildo Horn. Er hat mich lieb. Wenn er noch ein halbes Jahr weiter macht, ist er Heino. Sind es die Abdecker und die Leichenlecker von Mannheim, die an seinen Lippen hängen? Mama liebt Gildo. Die einzig Vernünftigen, die nicht in den Sog einer dotzenden Rumkugel kommen sind wahrscheinlich Harald Juhnke (New York, New York) und Otto, das Schmatzen.

Vier Jahre später ist das Kaufhaus über seinen Ruhm weggerollt. Ich war zu hart zu einem, der doch irgendwie dazu gehört.

Pfefferminzhemd - 2

Laßt uns doch mal dieses Pfefferminzhemd betrachten. Aus den Halbärmeln die rosafarbenen blondflaumigen Arme eines Managers,  dessen  durchgeschorener Breitkopf aus dem Kragen schwenkt. Es glänzt feucht nach Nylon, aber hier ist kein Schweiß. Ein Duft von reiner, mineralischer Frische. Bitter Lemmon, noch eher Tonic und im Hintergrund ein Riesenbecher Tropic-Eis. Diese Haut unter diesem Azurblau-Wiesengrün. Ein fester feuchter Schlauch. Ich stelle mir eisblaue Augen dazu vor. Eine Arbeitsmaschine. Der geht aus dem Schwergewicht des Hinterns, neigt sich zu seinen fetthaarigen Fahrern gnädig, schickt sie mit Gesten von gymnastischer Flüssigkeit in die 360 Windrichtungen. Wie er wohl seine Berichte aufs Papier bringt? Ich kann mir einen gold-schwarzen, gold-grünen Kugelschreiber vorstellen, auch eine aus dem Katalog gezogene Sekretärin

Der Raum ist erfüllt von Schwimmbad, Florida, Gesten, Geschmeidigkeit eines Spiels von Schau und letzter Handlungsreise. Schau dieses Hemd von Pfefferminz und alle Triebe schweigen. Die Zeit bleibt stehen und deine Knechte tauchen in den Wellen nach Perlen. Es ist alles möglich. Daß er einen Revolver zieht, jemanden oder sich selbst erschießt. Nimm es dir - du hast die Macht- und gehe hinaus in neue Paläste der Leere. Karriere. Die Ewigkeit kristallisiert in deinen Zellen. Du gleitest durch die Glaswände des Lebens. Kannst du sterben? Die Neugier steigt aus dem Blutschlämmen unserer schmutzigeren Natur, es auszuprobieren. Jetzt aber wandle, wandere, in der uns so fernen illustrierten Zeit, frei von Mundgeruch und Potenzknick.
Es donnert. Als wenn ein Ungläubiger in der Hagia-Sofia einen fahren läßt.
*
Regale

Ein Manager schiebt sich durch die Regale. Den ganzen Tag in der bunten Welt. Unter den Gummisohlen ab und zu eine platte Banane, Joghurt, Zucker. Dort knirschen Spaghetti. Da rutschst du auf Marmelade aus. Eine Diebin.

Der Manager brüllt durch die ganze Bude. Die Würde des Menschen ist ein Wischlappen der Macht. Der Manager schiebt durch die Regale. Die Augen schwenken durch den Raum.

Dort räumt eine Angestellte ein. Er bückt sich, um zu helfen. Sie lacht und denkt: Idiot. Er macht die passenden Witze und fühlt Stärke. Eine Anweisung zum Abschluß. Freiheit der Person unter der Dreckschaufel. Ein Klo steht nicht zur Verfügung. Ein Manager schiebt durch die Regale. Heut Abend Treff beim Chef. Will er´s in Anzug oder Jeans.

Katholische Kirche, Kirchheim-Bolanden

Eigentlich kein Gebäude, mehr eine in die Tiefe gestreckte Zwei-Dimensionale. Die geraden Linien in einem weißen Knochen-Beton gehalten, die schmalen langen, schwarzen Fensterhöhlen, das schwarz gestrichene Rechteck von Tür.

Wie sehe ich es? Die ausgelaugten Holzbänke. Gerade gehobelt, aufgerissen vor Trockenheit. Moos und Flechten- Flecken auf den streng ausgerichteten Steinplatten. Vögel, deren Stimmen Dschungellianen in die Luft flechten.

Hierher verirrt sich niemand. Kinder, Schänder, Dichter und Priester. Sind wir hier in den von Schatten zerschnittenen Lichtquadern nicht überflüssig?

Oma mit dem Hund.

*

Planungswampe und Kralle der Verwaltung und das Bierzelt jubelt. Wieder ein Haus geopfert einer Orgie von Geld und Gier auf noch mehr Geld. Was geschieht in dieser Stadt?

Du gehst spazieren, und um dich Disneyland, die geschäftige Glätte von Krawatte und Kostüm und schwarzem BMW. Sie rührt die Menge auf der Käufer und der sich ins Leere begebenden Säufer. 


Ein Skin drückt seinen Sohn in den Hundekot. Hallo, es geht uns gut. Dort aber lungert lustige Jugend. Was willst du haben, Baseballschläger oder Schlagring? Wo ist ein Penner, ihn fertig zu machen? Uniform, Glatze zerschlagene Bierflaschen als Bekenntnis, Spaß am Quälen. Ein Gedanke, begraben unter Rowdy-Kotze und dem Edelpflaster, das ein Ingenieurbüro darüber legt. Ein Haus ist geknackt aber auch Erinnerungen an Menschen.

Und dann kommt der Regen. Und du wirst alt sein. Was du erzählen kannst, ist ein unendlich langer Fernsehfilm und eine Marktplatz-Szene, die schlechter ist als er. Dein Kind wird längst im eigenen Palast dein Imperium zerstückeln oder deinen Platz unterm Kanaldeckel erobert haben. Wohin willst du König Lear? Hier ist das Ende: im goldenen Rollstuhl von der Freundin deines Leibwächters erstickt, auf der Parkbank vom Kumpel deines Enkels erschlagen.
*

Es gibt jetzt so schöne grüne Hemden...

Hej, Mister Pfefferminz,
öffne diene Achselhöhlen;
Mamas Märchenprinz
von metallischen Befehlen.

Schweißtropfen-Thau auf Rosenhaut,
aus dem Slip ein Handy schießt
laserhart ins scall.
Nothing at all:

Der Tod hat diese Nacht geleast,
und der Bilanz im Desktop graut.
*
"Ahloo, Ahloo!...":

Da rufen dich lauter Angst und Verzweiflung eines machtlosen Mannes. Die zwei Polizisten haben den Flüchtenden niedergeworfen, drehen ihm die Hände auf den Rücken, drücken ihn mit dem Oberkörper auf die Motorhaube. Als Mensch spürst du den heftigen Impuls, zur Hilfe zu eilen. Der Hilferuf an dich als einen Bruder, eine Schwester der Erde läßt sich nicht überhören. Todesangst, schauerliches Echo von den Wänden unseres Verwaltungsblocks. An den hohen Fenstern sehen wir zu 20 oder 30 zu. Was Recht an einer Abschiebung ist , können wir uns vorstellen. Aber was ist daran menschlich?

Ein Hilferuf zerplatzt auf dem Altstadtpflaster. Verschlungen von den Schatten eines Innenhofs. 
Spürst du die Fluten der Einsamkeit?
Schweigend gehen wir wieder an unseren Schreibtische.

Betriebswirtschaft

Mit Freude bemerke ich, dass auch der Super- Lollipop Betriebswirtschaft ausgelutscht ist. Nach einer ungeheuren Ausdehnung in die Machtphantasien anfälliger Ideologen fällt sie zusammen und zurück in die Grenzen einer von Gesetzen gelenkten Organisation des Lebens. Wenn jetzt noch das Bullenprinzip der Willens-Allmacht von Mehrheiten und straff organisierten Cliquen sich dem Prozeß der  sensiblen Verständigung in allgemeinen Absprachen unterwirft, wird aus einer gesetzmäßigen Verwaltung des Lebens auch wieder eine im verfassungsmäßigen Rahmen.

Ein Spielzeugtraktor
steht vor der Aufzugs-Tür 3. 6. 98

Zu wem er gehört? Die Kollegin erklärt, daß gerade eine Familie abgeschoben wurde. Welches Kind ist gestern noch damit über das restaurierte Alzeyer Straßenpflaster gehoppelt? Ein Lied aus dem Kindergarten: " piep, piep, piep.. " oder aus der deutschen Hitparade von Liebe und Schmerz. Zwei Glatzen und ein Hund. Vorsichtig in den Hof zurück.
Jetzt sitzt er im Flugzeug bei einer weinenden Mama und einem bitteren Papa. In die Heimat. Das Elend wartet und der Tod aus den Gewehren eines serbischen Rassistenrudels. Wenn du durch die verwüstete Kindheit und die Wolfsschlucht einer Exilantenjugend hindurchkommst, wenn du eines Tages von einer zu spät kommenden Gerechtigkeit um Verzeihung gebeten wirst: Dann wirf dein Leben nicht in den Aktenvernichter einer Schlußstrich-Verwaltung. Behalte sie alle: Haß, Wut, Angst, tiefes Mißtrauen-. 

Das haben sie zu deiner Heimat gemacht. Nur da kannst du deinen verlorenen Schatz wiederfinden. Und dieser dunkle See Ich allein weiß, wieviel Reue genügt, seine Tiefe auszufüllen. Du allein bist es, der in diesem Spiegel erkennen kann, wieviel Tränen deine Verletzungen zur Heilung brauchen.
Ich aber schwöre, daß ich die Täter nicht an deiner Stelle von Schuld freisprechen werde.

Ein Spielzeugtraktor vor der Fahrstuhltür.

Geschenkt!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen